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Enttechnisiertes energieautarkes Mehrfamilienhaus

In der Rosenstraße in Niesky, Landkreis Görlitz nahe der polnischen Grenze, steht ein moderner Neubau, der bei genauerem Hinsehen ein kleines Kraftwerk ist. Gebaut hat es der Bauunternehmer Matthias Schur aus Boxberg. Das Mehrfamilienhaus mit zwölf Wohnungen produziert den Großteil seines Wärme- und Strombedarfs selbst. Möglich macht das ein Konzept aus großflächiger Photovoltaik, Batteriespeicher, Infrarotheizung und dezentralen sogenannten Autarkie-Boilern für Warmwasser.

Das enttechnisierte, hochgradig energieautarke Mehrfamilienhaus mit zwölf Wohnungen kommt gänzlich ohne Wartungsverträge, Heizkreise und Technikräume aus. Kein Heizungsbauer, keine Wärmepumpe, kein Stress – wartungsfrei, störunanfällig und: wirtschaftlich überlegen.

Wohnen ohne Nebenkostenabrechnung

Das Herzstück des Geschäftsmodells ist die Pauschalmiete: Statt einer monatlichen Grundmiete plus schwankender Nebenkosten zahlen die Mieter einen festen Betrag, der alle Kosten für Wohnen, Heizung, Warmwasser, Haushaltstrom und Glasfasernetz abdeckt. Jeder Stellplatz in der Tiefgarage verfügt zudem über eine Ladebox fürs E-Auto. Mindestens fünf Jahre lang bleibt die Miete dank dieser Energie-Flatrate stabil. „Wir schreiben die Miete zwischen 14 und 15 Euro pro Quadratmeter für fünf Jahre fest“, erklärt der Boxberger Bauunternehmer Matthias Schur, der gemeinsam mit seinem Bruder Häuser schlüsselfertig baut und auch vermietet. „Das bedeutet für den Mieter null Euro Nachzahlung und für uns Kostenersparnis, weil wir weniger Administration haben und keine Fremdfirmen mit dem Ablesen von Heizung & Co. beauftragen müssen.“ Der Verbrauchsdeckel sei sehr komfortabel, berechnet durch Mieterbefragungen. „So kann im Grunde jeder Mieter die Konditionen mitgestalten und wird gleichzeitig zu mehr Bewusstsein beim Nutzen elektrischer Geräte motiviert.“

Es war sein Energieberater, der ihn auf das neue Bau- und Wohnkonzept aufmerksam machte. Nachdem die Schurs das Mehrfamilienhaus mit Fußbodenheizung und Fernwärme fertig geplant hatten, sorgten die Folgen des Russland-Ukraine-Kriegs, Energiekrise und der Wegfall von Förderungen im Wohnungsbau für doppelt so hohe Kosten als erwartet. Erst das energieautarke Konzept machte den Bauherren Mut, das Vorhaben mit neuer Gebäudeausstattung und neuem Geschäftsmodell umzusetzen.

60 Prozent autark – im Sommer komplett unabhängig

Die Zahlen beeindrucken: Das Gebäude erreicht eine reale Autarkiequote von 60 Prozent – von Mitte März bis Mitte Oktober läuft der Betrieb sogar nahezu vollständig unabhängig vom Stromnetz. In dieser Zeit stammt die gesamte Energie von der Sonne, erzeugt durch Photovoltaikmodule auf dem Dach, an Fassade und Balkonbrüstungen (133,6 kWp installierte PV-Leistung). Überschussstrom kann in Batteriespeichern zwischengespeichert werden und versorgt die Bewohner auch bei schlechtem Wetter oder in den Abendstunden.

Der CO₂-Ausstoß während dieser autarken Phase: Null. Selbst in den Wintermonaten ist der Zukauf aus dem Netz vergleichsweise gering, da das Gebäude dank seiner kompakten Bauweise und moderner Dämmung wenig Energie benötigt.

Fit für die Zukunft – und für ein schwankendes Stromnetz

Ein weiteres Plus für Mieter und Vermieter: Das Gebäude ist netzdienlich ausgelegt. Es kann beispielsweise im Sommer in der Nacht anstatt am Tag überschüssige Solarenergie ins Netz einspeisen, im Winter bei preiswertem Windstrom den Akku günstig aufladen oder in Zeiten hoher Netzlast den Eigenverbrauch durch Abschaltung der Infrarotheizung oder der Autarkie-Boiler drosseln. Das spart enorme Kosten. Damit ist es vorbereitet auf die Herausforderungen der Energiewende, in der flexible Verbraucher und Speicher eine immer größere Rolle spielen.

Im Vergleich zu üblichen Neubauten liegen die monatlichen Energiekosten für Heizung, Warmwasser und Haushaltsstrom pro Wohnung bei nur 0,50 Euro pro Quadratmeter. Ein Spitzenwert. Für die Bewohner heißt das planbare, niedrige Wohnkosten und ein Beitrag zum Klimaschutz in einem.

Enttechnisierte Bauweise – weniger kann mehr sein

Ein Schlüssel zum wirtschaftlichen Erfolg ist die enttechnisierte Bauweise. Statt auf komplexe störanfällige wassergeführte Heizsysteme oder Wärmepumpen zu setzen, kommt das Haus ohne Rohrleitungen, Heizkreise und Pumpen aus. Die Infrarotheizungen werden elektrisch betrieben, sind wartungsfrei und halten etwa 30 Jahre. Warmwasser erzeugen dezentrale Autarkie-Boiler in jeder Wohnung. Das bedeutet auch: Legionellenprüfungen oder zentrale Warmwasserspeicher entfallen.

Auch für die Schurs als Eigentümer bedeutet das Ersparnisse: Geringere Investitionskosten, keine Wartungsverträge, weniger Reparaturbedarf und eine günstigere Wohngebäudeversicherung. In Summe können sie als Vermieter 2 bis 3 Euro pro Quadratmeter mehr Miete erzielen, was am Ende auch den späteren Wiederverkaufswert erhöht. Nun sind die Wohnungen bezugsfertig. Die nächsten hochgradigen energieautarken Mehrfamilienhäuser seien bereits geplant, in Weißwasser und in Bautzen. Die steigenden Anfragen von Wohnungsgenossenschaften und Wohnungsgesellschaften bestärken die Schurs dabei.

Signalwirkung für die Branche

Für die Schurs ist das Projekt mehr als ein einzelnes Bauvorhaben. In einer Zeit, in der steigende Bauzinsen und Materialpreise viele Investoren zurückschrecken lassen, zeigt es: Energieautarkie und Wirtschaftlichkeit müssen kein Widerspruch sein. Das Modell könnte Schule machen – vor allem dort, wo Wohnungsunternehmen oder private Investoren langfristig planen und Betriebskostenstabilität als Standortvorteil nutzen wollen.

Mit dem Einzug der ersten Bewohner beginnt in Niesky ein Praxistest, der über die Stadtgrenzen hinaus Aufmerksamkeit erregen dürfte. Denn das Haus steht nicht nur für innovative Technik, sondern für einen Paradigmenwechsel: weg von immer komplexeren Anlagen, hin zu einfachen, robusten Lösungen – und einer Mietkalkulation, die beiden Seiten Sicherheit gibt. Quelle: Bau-Schur / Sonnenfleck / si

 

Mehrfamilienhaus in Niesky, Sachsen

• Wohneinheiten: 12 Mietwohnungen mit jeweils 3 Zimmern

• beheizte Fläche: 1.100 m² auf drei Etagen

• KfW-Standard: Effizienzhaus 55

• Pauschalmiete: inklusive Wohnen, Wärme und Strom

• Gesamtenergiekosten: ca. 66 Euro pro Monat und Wohnung für Heizung, Warmwasser, Haushalts- und Allgemeinstrom

• Photovoltaikanlage mit 133,6 kW Leistung

• Stromspeicher mit ca. 64 kWh Speicherkapazität

• Infrarotheizungen in jeder Wohnung

• Autarkieboiler für dezentrale Warmwasserbereitung

• solarer Deckungsgrad: ca. 60 %

• Reststrombezug: ca. 41.000 kWh/Jahr (ohne Elektromobilität)

• Energiebedarf für Heizung, Warmwasser und Haushaltsstrom: 28,9 kWh/m²/Jahr