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Ideen-Pool für die Gebäudeeffizienz

Auf der diesjährigen Internationalen Passivhaustagung war der Ton im Großen und Ganzen optimistisch, wohl auch dank der Erfolge und Fortschritte, über die die Fachleute der Szene berichten konnten. Im Vorfeld hatte es am 3. April bereits mit Workshops begonnen, als Teil des Rahmenprogramms, die eigentliche Tagung wurde am Freitag, dem 5. April eröffnet, im großen Hörsaalgebäude des Campus Technik der Universität Innsbruck. An zwei Tagen ging es in den einzelnen Sessions unter anderem um die Schritt-für-Schritt-Sanierung hin zum EnerPHit-Standard, die Rolle der Anlagen- und Haustechnik, die serielle Sanierung. Außerdem um Nichtwohngebäude, um Passivhäuser in Zonen mit extremem Klima, dazu um Best-Practice-Beispiele aus Österreich, um Nachhaltigkeit sowie um neu- und weiterentwickelte Planungstools. Die GEB-Redaktion konnte leider nur am 5. und 6. vor Ort sein und musste angesichts der vielen spannenden, aber häufig parallel stattfindenden Vorträge und Diskussionen eine Auswahl treffen.

 

Einstimmung im Eröffnungsplenum: Die Lage ist ernst                   

Außer natürlich bei den Eröffnungsveranstaltungen. Dort stand weniger das Wie als vielmehr das Warum des hochenergieeffizienten Sanierens und Bauens im Mittelpunkt. Diana Ürge-Vorsatz, Klimawissenschaftlerin und Vizevorsitzende des IPCC, des Weltklimarates, sprach am Freitagvormittag im Rahmen des Plenums und machte unmissverständlich den Ernst der Lage klar. Die Fachwissenschaft sei aktuell alarmiert, angesichts von Temperaturrekorden in immer schnellerer Folge. Man müsse sich auf extreme Szenarien einstellen. Die Forscherin hob die Gefahr für Leib und Leben der Bevölkerung durch vermehrtes Auftreten von Hitzewellen hervor, insbesondere in den Städten und dort vor allem in Gebäuden ohne Wärme- und damit ohne Hitzeschutz. In Anspielung auf Douglas Adams‘ „Per Anhalter durch die Galaxis“ nannte sie das Passivhaus die „42“, die eine Antwort auf alles, „auf die Frage nach dem Leben, dem Universum und Allem“. Wie zur Bestätigung ihres Lageberichts kündigte dann auch der Wetterdienst ein für die Jahreszeit eindeutig zu heißes Wochenende an, für Österreich wie für Deutschland. Man erwarte die wärmsten Apriltage „seit Beginn der Aufzeichnungen“, eine inzwischen wohl sattsam bekannte Formulierung.

 

Um in kosmischen Maßstäben zu bleiben: Einleitend hatte Moderator Laszlo Lepp, Geschäftsführer des Passivhaus Instituts Österreich, die Quantenphysik bemüht. Dort habe man das Konzept der Quantenverschränkung entwickelt. Es gebe Paare von Elementarteilchen, die untrennbar miteinander verbunden seien, mögen sie Lichtjahre voneinander entfernt sein – kenne man den Zustand des einen, kenne man auch den das anderen. Und so verhalte es sich mit den beiden wesentlichen Informationspaketen der Energiewende, „Erneuerbare Energien“ und „Energieeffizienz“: aus dem einen ergebe sich zwanhsläufig das andere. Allein mit den Erneuerbaren werde man Klimaneutralität nicht erreichen können, sie seien nicht hinreichend, es gehöre notwendig auch die Effizienz dazu, der möglichst sparsame Umgang mit Energie. Wer also „Erneuerbare Energien“ denke, müsse immer auch „Energieeffizienz“ mitdenken, so Lepp.                             

„Wenn schon, denn schon“

Wolfgang Feist, Gründer des Passivhaus Instituts Darmstadt, wies zur Illustration auf die Bedeutung der Gebäudeeffizienz hin, die allein garantieren könne, dass man mit den verfügbaren erneuerbaren Energien den Bestand klimaneutral machen könne. Jan Steiger, ebenfalls vom Passivhaus Institut, legte schon einmal den möglichen Umgang mit der vorhandenen Bausubstanz dar. Saniert werden müsse ab jetzt ambitioniert. Immer, wenn eine Komponente der Haustechnik oder ein Bauteil, ob Fenster, Dach oder Fassade, ohnehin erneuert werden müsse, müsse das mit Passivhauskomponenten, -Techniken und -Verfahren geschehen. Beim Fenstertausch müssten passivhaustaugliche Wärmeschutzfenster zum Einsatz kommen, würden die Außenwände gedämmt, müsse man mit ausreichend dicker Dämmung den Mindest-U-Wert nach GEG unterbieten, und so weiter. Ziel sei nicht zwingend der für Neubauten geltende Passivhausstandard, mit Erreichen des      etwas weniger strengen EnerPHit-Standards, eigens für Altbauten geschaffen, sei schon viel gewonnen. Hauptsache, es werde, sobald eine Maßnahme anstehe, nach dem Prinzip „wenn schon, denn schon“ verfahren.  

 

Die Hindernisse überwinden

Vereinzelt war neben dem Optimismus auch etwas Frust unter den Teilnehmenden zu spüren. Die notwendigen Techniken, Planungstools, Verfahren, Bauteile und Materialien, das Knowhow zur Schaffung eines klimaneutralen Baubestands, alles ist schon längst verfügbar, doch es geht immer noch viel zu langsam voran. Die Haupthindernisse sind ausgemacht: neben der Trägheit der Politik, die sich in mangelhafter Förderung der energetischen Sanierung von Gebäudehüllen äußert, sind es das Misstrauen unter Eigentümer:innen und Mieter:innen von Gebäuden und das fehlende Wissen der meisten Ausführenden auf dem Bau.

 

Doch es wurden Wege zur Überwindung dieser Hindernisse aufgezeigt. Als Teil der Session „outPHit: EnerPHit-Renovation - step by step“ stellten Stefano Baretti vom Studio Nomos Architettura und Francesco Nesi von ZEPHIR Passivhaus Italia ein Projekt in Bergamo vor, bei dem eine Wohnung eines Mehrparteienhauses nach EnerPHit-Kriterien saniert wurde. Mit den damit verbundenen kniffligen Aufgaben: wie der Abdichtung nach außen und zu den übrigen Wohnungen, der Schaffung der Voraussetzungen für den effizienten Einsatz einer Lüftungsanlage – wichtig auch aufgrund der schlechten Luftqualität in der Stadt in der Po-Ebene. Mit Dämmung, Abdichtung und Lüftung konnte am Ende der Energieverbrauch um den Faktor 4 reduziert werden. Eine Thermografie illustrierte den Erfolg des Unternehmens, durch den Kontrast zu den übrigen, unsanierten Wohneinheiten. Die Handwerker hatten laut Baretti und Nesi keine Vorkenntnisse in Sachen Passivhausbau, sie lernten on the job, unter Anleitung der Experten. Die Planer des EnerPHIt-zertifizierten Projektes rechnen im Übrigen mit einer Art Türöffner-Funktion der Maßnahme: Kämen die Nachbarn auf einen Kaffee vorbei und erlebten die neue Raumluftqualität und die Behaglichkeit, bei gesunkenen Energiekosten, entstände unter Umständen auch bei ihnen Interesse an einer solchen Sanierung auf hohem Niveau.

 

Laszlo Lepp brachte anschließend ermutigende Beispiele aus Innsbruck, Schritt-für-Schritt Sanierungen von neun Mehrparteienhäusern und zwei Schulen. Es wurden jeweils im ersten Schritt nur ein Teil der Fenster ausgetauscht, nur ein Teil der Wohnungen gedämmt und mit Luftdichtheitsschicht und Lüftungsanlage versehen. Daneben war der Umgang mit den bestehenden Balkonen entscheidend. Die waren als Auskragungen aus den Betondecken bedeutende Wärmelecks. Wo machbar, wurden sie zurückgebaut und durch neue, thermisch getrennte Konstruktionen ersetzt. Da die Sanierungen in bewohnten Gebäuden stattfinden, gilt es, Belästigungen durch Lärm und Staub zu minimieren. In einem der Objekte konnte man jedoch dank der Grundrissgestaltung die Lüftungskanäle der zentralen Anlage zur Versorgung jeder einzelnen Wohnung an der Außenwand in eine bestehende, dünne Korkdämmung einbetten, Altdämmung und Kanäle wurden anschließend mit 20 Zentimetern EPS überdeckt. Bereits jetzt habe man beachtliche Einsparungen erzielt: Der Nutzwärmebedarf konnte um 77 Prozent reduziert werden, mit der  Vollsanierung werde man bis zu 85 Prozent Einsparung erreichen.

 

Wer Zeit hatte, konnte am Sonntag an Exkursionen zu Best-Practice-Beispielen teilnehmen. Hier: Mehrparteienhäuser in Innsbruck, schrittweise mit hoher energetischer Qualität saniert.

Passivhaus Institut

Wer Zeit hatte, konnte am Sonntag an Exkursionen zu Best-Practice-Beispielen teilnehmen. Hier: Mehrparteienhäuser in Innsbruck, schrittweise mit hoher energetischer Qualität saniert.

Komplexität in den Griff kriegen

Ein weiters Hindernis auf dem Weg zum klimaneutralen Gebäudebestand ist die schiere Komplexität der Planung, auch was die Abstimmung von Haus- und Anlagentechnik auf die Gebäudehülle angeht. Fabian Ochs von der Universität Innsbruck, Arbeitsbereich Energieeffizientes Bauen, entwickelt mit seinen Teamkolleg:innen Berechnungsverfahren, die die optimale Integration von Wärmepumpen ins EnerPHit-Gebäudekonzept zum Ziel haben. Komplex ist diese Aufgabenstellung, weil zahlreiche Faktoren zu berücksichtigen sind: neben dem umsetzbaren Dämmstandard der Außenhülle etwa die Quellenerschließung für die Wärmepumpen (wo kann man Erdsonden anlegen, mit welcher Entzugsleistung? oder: wo lassen sich ggf. Außenluft-Aggregate aufstellen?), das Klima am Standort, die solaren Gewinne des Gebäudes, die Erträge einer PV-Anlage. Dazu kommt die Frage des Schallschutzes, wichtig in dicht besiedelten Innenstadtbereichen. Das alles immer unter der Vorgabe niedriger Investitionskosten. Man habe die bisher erstellten Rechenmodelle erfolgreich mit dem Planungstool PHPP, dem Passivhaus-Projektierungspaket kombiniert. Ochs betonte allerdings, dass es noch weiterer Studien bedürfe.                                             

 

Wie man öffentliche Gebäude aus den 1950er und 1960ern auf ein hohes energetisches Niveau befördern kann, unter Einsatz nachhaltiger, ökologischer Baustoffe, verdeutlichte der Beitrag der Architektin Anna Czerwinska vom Büro Atelier Rivat in Saint-Étienne bei Lyon: Eine Grundschule und ein Kindergarten sollten saniert und mit Erweiterungen versehen werden, der Kindergarten zusätzlich ein Mehrzweckgebäude im Passivhausstandard erhalten. Die Erweiterung des Kindergartens wurde mit einer Dämmung aus Strohballen versehen. Nach den Berechnungen werden die Bestandsgebäude dem EnerPHit-Standard entsprechen, das neue Mehrzweckgebäude dem Passivhausstandard. Die Ausführenden, die wie die Handwerker in Bergamo keine entsprechenden Vorkenntnisse gehabt hätten, habe man im Vorfeld einen Tag lang mit einem Workshop im luftdichten Bauen geschult. Dazu habe man eine ausführliche Detailplanung erstellt, nach der sie sich richten konnten.               

Optimierung der Anlagentechnik

Die Rolle speziell der Anlagentechnik wurde ebenso beleuchtet, in der Session „Haustechnik-Konzepte für hoch energieeffiziente Gebäude“.  Dabei ging Ernst Schriefl vom Büro Schöberl & Poll auf die Möglichkeiten der Nutzung des Abwassers ein. In Wien werden derzeit in ausgewählten Objekten mehrere Varianten erprobt, von der reinen Rückgewinnung der Wärme des Grauwassers (aus Dusche, Badewanne und so weiter) bis zur energetischen und stofflichen Nutzung des Grau- und Schwarzwassers, inklusive der Verwertung der Fäkalien zur Erzeugung von Biogas für eine Brennstoffzelle.

 

Gabriel Rojas von der Universität Innsbruck wiederum präsentierte eine Technik zur Verbesserung der Performance von Lüftungsanlagen. Ziel ist es, Disbalancen zwischen dem ein- und dem ausströmenden Luftvolumen zu verhindern, die zu Über- oder Unterdruck im Gebäude führen können.  Bei Überdruck wird warme Innenraumluft durch undichte Stellen nach draußen befördert und kann auf dem Weg durch die Gebäudehülle durch Kondensation der enthaltenen Feuchte für Schimmel sorgen; bei Unterdruck wird kalte Außenluft ins Gebäude gesogen. Ein Volumenstromregler, der sich mittels eines durch den Luftstrom angetriebenen Generators selber mit Strom versorgt, soll dieses Ungleichgewicht verhindern.

                     

Ein bisschen neidisch

Das Plenum am Folgetag, in den Vormittagsstunden, kreiste um die nicht geringen Möglichkeiten der Politik, energetisch hochwertiges Sanieren voranzubringen. Den Anfang machte Paul Ormond vom Department of Energy Resources (DOER) des US-Bundesstaates Massachusetts, wo man den Passivhausstandard jetzt in den Bauvorschriften einiger wichtiger Kommunen findet, darunter Boston und Cambridge.

Helmut Schöberl von Schöberl & Poll erklärte anschließend, mit welchen politischen Mitteln Österreich die Fossilen hinter sich lassen will. Unverhohlen neidisch wurden einige der deutschen Zuhörer:innen angesichts der 100-Prozent-Sanierungsförderung für Antragsteller des unteren Einkommensdrittels. Tu felix Austria! Besonders fortschrittlich gibt sich dabei Wien, wo die Förderung des Heizungstauschs an die Modernisierung des Gebäudes insgesamt gekoppelt ist. Doch Innsbruck, Sitz des Passivhaus Instituts Österreich, muss sich nicht verstecken, laut seines Bürgermeisters, Georg Willi, hat es weltweit die höchste Passivhausdichte in der Klasse der Städte ab 100.000 Einwohnenden. Die österreichische Klimaschutzministerin Leonore Gewesseler (genauer: Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie) wünschte sich, dass die konsequente Förderpolitik Schule mache. Sie erinnerte noch einmal an die Dringlichkeit der Dekarbonisierung, angesichts der Tatsache, dass EU-weit 36 Prozent der CO2-Emissionen aufs Konto des Gebäudebestands gehen.

Nachhaltiger Umbau

Über die Gebäudegrenzen und über die Nutzungsphase eines Gebäudes hinausgedacht wurde in der samstäglichen Session „Passivhaus und Nachhaltigkeit“. Im Beitrag Benjamin Kricks, ehemals beim Passivhaus Institut, jetzt Sanierungsmanager der Stadt Riedstadt in Hessen, wurden die Dos and Don’ts der Energie-, Wärme- und Gebäudewende klar benannt. Verbrennen von Kohle, Öl und Gas verbiete sich grundsätzlich, auch Holz als Energieträger führe zu CO2-Ausstoß, den es zu vermeiden gelte. Den grünen Strom in Methan zum Verheizen umzuwandeln, sei keine echte Alternative, angesichts der Verluste bei der Umwandlung: Nur etwa die Hälfte der im erneuerbaren Strom enthaltenen Energie sei so am Ende nutzbar. Als Heizung der Zukunft bleibe nur noch die Wärmepumpe, die den Strom am effizientesten einsetze. Auch Krick ging in diesem Zusammenhang auf die Nutzung der Abwasserwärme ein, mit der man theoretisch noch ein Viertel der im Passivhaus eingesetzten Energie zurückholen könne. Der Referent hob darüber hinaus die Bedeutung der Verwendung nachhaltiger Baustoffe hervor, von Holz oder auch Stroh, wie vom Atelier Rivat genutzt, nachwachsenden Materialien, die im verbauten Zustand Langzeit-CO2-Speicher sind.

Geringinvestive Dämmmaßnahmen

Arnold Drewer, Geschäftsführer des Fachverbandes Einblasdämmung (FVED), erläuterte in seinem Vortrag, wie man den Wärmeschutz vieler Gebäude zumindest in Deutschland schon mit geringem baulichem und finanziellem Aufwand deutlich verbessern kann. Einblasdämmstoffe in Faser- oder Flockenform erlaubten das Dämmen von Hohlräumen unter Dachschrägen, unter Fußböden, in zweischaligen Außenwänden, in Flachdachaufbauten, zwischen Gebäudetrennwänden und überhaupt überall dort, wo komplizierte Geometrien den Einsatz von Matten und Platten erschwerten. Würde man in Wohn- wie in Nichtwohngebäuden konsequent alle Möglichkeiten der Dämmung von Hohlräumen auf diese Weise nutzen, könne man bezogen auf die Heizwärmerzeugung mit einer CO2-Einsparung von 58 Prozent rechnen. Mit Materialkosten von durchschnittlich 18 Euro pro Quadratmeter sei die Einblasdämmung auch für untere Einkommensgruppen attraktiv, und selbst die Kerndämmung in eher dünnen Luftschichten zweischaliger Außenwände sei als vorbereitende Maßnahme für eine Außendämmung förderfähig. Selbstverständlich sollte der Maßnahme eine Untersuchung der betreffenden Hohlräume vorangehen.

                  

Wie gut die Passivhausbauweise auch für Nichtwohngebäude geeignet ist, demonstrierte Bernd Steinmüller, Gründer und Geschäftsführer der in Paderborn ansässigen BSMC GmbH, am Beispiel einer 2009 errichteten Sporthalle im Paderborner Ortsteil Sande. Vorgabe sei seinerzeit eine Sportstätte im Passivhausstandard gewesen, realisiert auf Basis des gleichen Budgets wie zwei lediglich nach EnEV-Kriterien geplante Referenzbauten. Nach mittlerweile 15 Jahren sähen die Messdaten erfreulich aus, das Objekt unterschreite sogar die in der Planungsphase mittels PHPP errechneten Verbrauchswerte. Und das trotz des Handicaps der großen wärmabstrahlenden Außenfläche und des großen Volumens bei kleiner Energiebezugsfläche. Gebäude dieser Art werden ja zum großen Teil nur ebenerdig genutzt.     

Schneller, weil serieller

Tanja Schulz, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Passivhaus Institut in Darmstadt, übernahm in der Session „outPHit - serielle Sanierung nach EnerPHit Prinzipien“ am Samstagnachmittag den Einleitungsvortrag und damit die Einführung ins Thema. Sie wies auf die Chancen eines seriellen Vorgehens auch bei der anspruchsvolleren Modernisierung hin, zugleich aber auch auf eventuelle Probleme. Einerseits könne die schnelle Durchführung bei minimaler Belastung der Bewohner:innen durch Bauarbeiten für eine hohe Akzeptanz sorgen. Andererseits müsse man sich im Vorfeld einer EnerPHit-Maßnahme sehr genau mit dem individuellen Gebäude beschäftigen. Das in seinen Grundzügen in den Niederlanden entwickelte Verfahren („Energiesprong“), das mit nach Maß vorgefertigten Dach- und Fassaden-Elementen arbeitet, erfordere große Genauigkeit und gerade im Hinblick auf die Luftdichtheit eine penible Vorplanung.

Einer der Arbeitskreise des Passivhaus Instituts, der AKKP 61 (AK Kostengünstige Passivhäuser), beschäftigt sich mit den allgemeinen und den Detailfragen. Wie bei jeder energetischen Sanierung von Mehrparteienhäusern seien auch bei der seriellen Herangehensweise die Balkone kritische Punkte. Optimal sei sicher der Rückbau und der Ersatz durch thermisch getrennte Konstruktionen. Flankendämmung der bestehenden Platten auf Ober- und Unterseite stelle dagegen eine Notlösung dar, die unter Umständen den EnerPHit-Standard gefährden könne. Ebenfalls von Fall zu Fall entscheiden müsse man, wo die Luftdichtheitsebene liegen solle. Sei der Außenputz des Bestandsgebäudes schadhaft und mit vertretbarem Aufwand nicht zu erneuern, komme er als luftdichte Schicht nicht in Frage. Dann müsse die Ebene in den Modulen angelegt werden. Besonders penibel sei an den Anschlüssen vorzugehen, zu den Fenstern, zum Dach, zum Sockel und an den Fugen der Elemente selber. 

Den Anspruch nicht aufgeben

Architekt Michael Kölmel konnte etwas später von einem Energiesprong-Pilotprojekt erzählen, das er mit seinen Mitarbeitern vom Büro Zeller Kölmel geplant hat. Das Mehrfamilienhaus in Köln war 2022 einer von fünf solcher „Leuchttürme“ in Deutschland, und mit Erfüllung des KfW-40-Standards der energetisch beste. Es wurde mit Fassadenelementen aus Holz und Zellulosedämmung zugleich in die  EnerPHit-Klasse befördert, wobei es mit seinem Heizenergiebedarf von 16, 5 kWh/m2a sehr nah am Passivhaus-Standard liegt. (Der eines neu gebauten Passivhauses darf 15 kWh/m2a nicht übersteigen). Kölmel betonte die Chancen, die in der seriellen Sanierung lägen, kritisierte aber auch die ansonsten wenig ehrgeizigen Projekte in diesem Bereich. NetZero werde nicht mehr angestrebt – um zu sparen, begnüge man sich inzwischen in der Regel mit dem KfW-55-Niveau, verzichte auf hohen Dämmstandard und auf kontrollierte Lüftung. Die Förderbedingungen zur Erlangung des Bonus für serielle Sanierungen erlaubten das (vgl. KfW-Programme 261, 264 und 464; Bonus von 15 Prozent der Investitionskosten). Aktuell verlangten die Hersteller für die Fassadenelemente um die 800 €/m2.

Die Lüftung hat man beim Kölner Objekt in den Fassadenelementen untergebracht – auch hier war Rücksicht auf die Mieter:innen zu nehmen. Geheizt wird mit Luft/Wasser-Wärmepumpen, die alten Heizkörper, so stellte sich im Nachhinein heraus, hätte man belassen können, dank des stark verbesserten Wärmschutzes. Auch der Rückbau der bestehenden Balkone und der Austausch gegen neue, thermisch vom Gebäude getrennte trug mit zum Erreichen des hohen Standards bei.

Vom Sink- in den Steigflug

Erfolgreich dekarbonsierte Gebäude, vermeintlich hoffnungslose Fälle, denen man das Energieverschwenden abgewöhnen konnte, immer ausgefeiltere Verfahren und Planungstools – all das ist den Teilnehmenden der Passivhaustagung zufolge genug Grund zur Zuversicht. Auch, dass es offenbar hier und da gelungen ist, Entscheider:innen in der Politik vom Passivhausgedanken zu überzeugen, siehe nicht zuletzt Massachusetts.

Wieviel jedoch noch zu tun ist, machte eine Meldung des Bundesverbands energieeffiziente Gebäudehülle (BuVEG) vom 9. April deutlich: „Sanierungsquote im Sinkflug – Prognose für 2024: weiter schwach“. Die Quote im deutschen Gebäudebestand habe 2023 bei 0,7 Prozent gelegen, für das erste Halbjahr 2024 werde ein weiteres leichtes Absinken auf 0,69 Prozent prognostiziert. BuVEG-Geschäftsführer Jan Peter Hinrichs beklagte falsche Prioritäten: Die Bundesregierung habe zuletzt den Fokus zu stark auf den Heizungstausch gelegt und die Gebäudehülle zu sehr aus den Augen verloren. Eine Tendenz, die es – und das sehen anscheinend nicht nur Passivhaus-Aktivist:innen so  – umzukehren gilt. Quelle: Passivhaus Institut / ab