Die von der us-amerikanischen Climate Imperative Foundation unterstützte Stiftung Klimaneutralität hat mit ihren jüngsten Politik-Empfehlungen für eine gewisse Unruhe in der Branche gesorgt und klaren Widerspruch provoziert. Am 16.12. stellte sie im Rahmen einer Online-Pressekonferenz eine von ihr in Auftrag gegebene Prognos-Kurzstudie vor, aus der sich aus ihrer Sicht ein neuer Ansatz im Umgang mit unserem Gebäudebestand ableiten lässt. Worin ihr viele der an der Veranstaltung teilnehmenden Vertreter:innen aus Politik, Wirtschaft, Verbänden und Presse jedoch nicht folgen konnten oder wollten.
Thomas Losse-Müller von der Stiftung sowie die Prognos-Vertreter vertraten die Ansicht, dass die derzeit bei unter einem Prozent liegende Sanierungsrate schadlos auf diesem Niveau verbleiben könne, ohne die Klimaziele für 2045 zu gefährden. Es sei nicht zwingend notwendig, sie auf 1,7 Prozent anzuheben, wie im Szenario „Klimaneutrales Deutschland“ (KNDE) von Agora Energiewende 2021 vorgeschlagen. Und zwar dann nicht, wenn statt auf Verbesserung der Gebäudehüllen der Schwerpunkt auf den Heizungstausch gelegt werde, auf das Ersetzen der bestehenden Öl- und Gas-Heizungen durch Wärmepumpen oder Anschlüsse an Wärmenetze. Entsprechend heißt es in der Kurzstudie auf Seite 5: „Voraussetzung für Klimaneutralität ist lediglich die konsequente Elektrifizierung der Wärmeversorgung durch Wärmepumpen, Nahwärme und Fernwärme. Eine Steigerung der Sanierungsquote über das aktuelle Niveau hinaus ist nicht notwendig.“ Nur Gebäude in Gebieten, in denen definitiv keine solchen Netze entstehen würden, sollten in ihrer Effizienz durch Dämmmaßnahmen verbessert werden, und auch nur die, die eindeutig noch nicht wärmepumpentauglich seien. Das werde lediglich zur minimalen Steigerung des Strombedarfs führen und unterm Strich sogar am Ende eine geringe Kostenersparnis bringen: „In Summe kommt es … im Zeitraum von 2025 – 2045 zu Minderkosten gegenüber dem Hauptszenario von 0,2 Mrd. Euro.“
BuVEG: Sozial schwache Mietende werden benachteiligt
Nur teilweise ist man sich in der Branche und unter Effizienzexpert:innen bewusst, dass die errechnete Sanierungsrate auf wackeliger Basis steht, mit zahlreichen Unsicherheiten behaftet ist. Doch sie bleibt ein wichtiger Anhaltspunkt und allgemein hält man sie für zu niedrig. Die Stiftung wollte mit ihrer Stellungnahme und ihren Empfehlungen ausdrücklich für Ermutigung sorgen und stellte in Aussicht, dass das Weniger an Sanierungen und die Mehrausgaben für den benötigten Strom dennoch nicht zu sozialen Härten führen werden: „Die daraus resultierende Kostenverlagerung in den Stromsektor ist zusätzlich aus sozialer Perspektive vorteilhaft. Das Stromsystem ermöglicht eine breitere Walzung und damit bessere Verteilung von Kosten.“ (Kurzstudie, S. 4).
Dem widersprach im Nachgang klar der Bundesverband Energieeffiziente Gebäudehülle (BuVEG). Das mit der „breiteren Walzung“ sei falsch: „Denn nur ein Teil der Kosten wird auf alle abgewälzt. Der Stromverbrauch ist jedoch in jedem Haushalt unterschiedlich. Wer besonders viel verbraucht, muss eben auch mehr bezahlen. Das ist vom Zustand des energetischen des Gebäudes abhängig.“ Deswegen sei ein Weiter-so problematisch: Gerade die ärmsten Menschen wohnten in den schlechtesten Gebäuden, seien daher hohem Stromverbrauch und in der Folge hohen Heizkosten ausgesetzt. Prognos selber habe in der Vergangenheit eine Intensivierung der Sanierungstätigkeit nahegelegt. Auch stößt sich der BuVEG an einer Formulierung in der Kurzstudie, die seiner Meinung nach die Tatsachen verzerrt, dort auf S. 5 zu finden: „Die angestrebte Steigerung der energetischen Sanierungsrate ist über die vergangenen Jahrzehnte trotz großer Anstrengungen und hoher Förderung nicht gelungen.“ Besagte „große Anstrengungen“, so der Verband, habe es nie gegeben, die Förderung sei gekürzt worden, auch sei ein großer Teil der Gelder in den Neubau geflossen, nicht in die Sanierung. Außerdem seien seit 2009 die Standards im Bestand nicht mehr verschärft worden. Das Argument der Stiftung, dass Sanierungsmaßnahmen lange Amortisationszeiträume aufweisen und Wohnkosten erhöhen, will man beim BuVEG ebenfalls nicht gelten lassen: „Sanierungen werden in der Regel mit einem Energieberater über einen individuellen Sanierungsfahrplan mit Augenmaß geplant. Häufig werden energetische Sanierung im Rahmen von „Sowieso“-Maßnahmen durchgeführt.“
Christoph Zeis, Geschäftsführer der Energiedienstleistungsgesellschaft Rheinhessen-Nahe (EDG) sparte beim Online-Termin gleichfalls nicht mit Kritik. In zu vielen Gebäuden machten Wärmepumpen ohne energetische Sanierung keinen Sinn. Und es sei absehbar, dass viele Städte und Kommunen keine Wärmenetze bekommen würden. Demgegenüber äußerte sich Gero Rueter von der Deutschen Welle positiv zur Kurzstudie, meinte sogar, dass sie die Leistungsfähigkeit von Wärmepumpen eher noch zu niedrig ansetze.
GIH: Die neue Schwerpunktsetzung wäre kurzsichtig
Der Energieberatendenverband GIH hob in seiner Reaktion auf Kurzstudie und Politikempfehlungen zunächst die aus seiner Sicht begrüßenswerten Aspekte hervor, darunter die Forderung, einen wesentlichen Punkt des GEG zu erhalten: „Positiv bewertet der Verband die Betonung des Netzausbaus, die Ansätze zur Dämpfung der Energiekosten sowie die klare Aussage, dass schlecht sanierte Gebäude wärmepumpentauglich ertüchtigt werden müssen. Auch die Beibehaltung der 65-Prozent-Regel beim Austausch von Öl- und Gasheizungen setzt ein wichtiges Signal.“ Bedenken aber äußerte GIH-Geschäftsführer Benjamin Weismann angesichts der Verlagerung des Schwerpunkts auf die Anlagentechnik: „Erneuerbare Energien und Energieeffizienz müssen zusammengedacht werden. Während Heiztechnik vergleichsweise kurze Lebenszyklen hat, wirken Hüllensanierungen über viele Jahrzehnte. Eine einseitige Fokussierung auf den Heizungstausch greift daher zu kurz. In vielen Fällen ist es sinnvoll, zunächst den Wärmebedarf durch Dämmmaßnahmen zu senken und den Heizungstausch anlassbezogen vorzunehmen – dann kann die neue Anlage kleiner und kostengünstiger ausgelegt werden.” Insgesamt monierte der GIH eine „verunsichernde(n) Wirkung der Studie auf eine ohnehin angeschlagene Bau- und Sanierungsbranche.“ Eine Sanierungsrate von derzeit 0,7 sei zu niedrig, es müsse mehr Förderung in die Sanierung der Gebäudehüllen fließen.
Noch nicht ausreichend im Fokus: die Klimaresilienz
Schließlich ging der GIH auch noch auf den weiteren Mehrwert einer effizienten, gut dämmenden Gebäudehülle ein, in Form von „Komfort, Gesundheit, Hitzeschutz“. Der ebenfalls in der Kurzstudie angesprochen wird – dort heißt es auf S. 12: „Die Effekte energetischer Sanierung reichen weit über das Stromsystem hinaus. Sie führen zu verbessertem Innenraumklima, Lärmschutz und Schutz vor sommerlicher Hitze, was sich positiv auf (den) Komfort, die Leistungsfähigkeit und (die) Gesundheit der Nutzenden auswirkt.“ Was die hier angesprochene Klimaresilienz angeht, schlagen die Experten des Rosenheimer Instituts für Fenstertechnik (Ift Rosenheim) allerdings schon seit längerem sehr viel ernstere Töne an. Sie weisen auf die in Zukunft enorme Bedeutung sommerkühler Gebäude hin, angesichts einer rasant fortschreitenden Klimaerhitzung, die durchaus auch Gefahr für Leib und Leben der Bewohnenden mit sich bringen könne. Quelle: Stiftung Klimaneutralität / BuVEG / GIH / ab