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Dämmkritik in der Kritik 

Jüngste Äußerungen von Bundesbauministerin Klara Geywitz haben unter Bau- und Dämmstoffherstellern wie unter Effizienz-Expert:innen für Irritation und Verwunderung gesorgt. So stellte die Ministerin am 10. Mai 2023 in Berlin auf dem „Tag der Immobilienwirtschaft“ die Sinnhaftigkeit von Dämmmaßnahmen in Frage – mit Argumenten, die durch Forschung und Praxis längst widerlegt sind.

Die „Tiefensanierung“, die umfassende nachträgliche Dämmung von Gebäuden mit mangelhaftem Wärmeschutz, sei weder wirtschaftlich zielführend noch ökologisch. In Deutschland, anders als etwa in Österreich, habe man bisher die Graue Energie und ebenso die CO2-Emissionen ausgeblendet, die im Zuge der Produktion von Dämmstoffen entständen. Überhaupt werde die Lebenszyklusbilanz von Gebäuden nicht berücksichtigt. Im Anschluss an ihre von häufigem Applaus unterbrochene Rede dankte ihr die Moderatorin der Veranstaltung für die „tollen Botschaften“, wie die über „das Abspecken, das Abrüsten, wenn’s um Dämmung geht … “.

Dass jedoch in Deutschland keine Lebenszyklusanalysen durchgeführt werden, dürften nicht nur die DGNB, die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen, und das BBSR, das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, mit Staunen hören, sondern auch die nicht wenigen Planer, Architekten, Ingenieure und Energieberater, zu deren Alltag solche Analysen und Bilanzen bereits seit Jahren gehören.   

Graue Energie schnell amortisiert

In einer ersten Reaktion auf Geywitz‘ Äußerungen vom 15. Mai stellte der BuVEG, der Bundesverband energieeffiziente Gebäudehülle, unter anderem in Bezug auf die angeblich unterschlagene Herstellungsenergie klar: „ … hier ist die Studienlage eindeutig: Produkte der Gebäudehülle, wie zum Beispiel Dämmstoffe, sparen in ihrer Nutzungsphase ein Vielfaches mehr an CO2 und Energie ein, als bei ihrer Herstellung emittiert beziehungsweise  benötigt wird. In der Regel amortisieren sich „Graue Energie“ und „Graue Emissionen“ innerhalb weniger Monate.“

Aussagen wie die der Ministerin im Berliner Friedrichstadtpalast könnte man als Rechtfertigung einer Förderpraxis verstehen, die die energetische Ertüchtigung von Gebäudehüllen seit langem vernachlässigt. In einer folgenden, gemeinsamen Erklärung vom Freitag, dem 2. Juni, betonten der BuVEG, die Repräsentanz Transparente Gebäudehülle, der Bundesverband Baustoffe – Steine und Erden (bbs), der Energieberatendenverband GIH, das Deutsche EnergieberaterNetzwerk  (DEN). und die Deutsche Unternehmensinitiative Energieeffizienz (DENEFF), noch einmal, dass diese Politik zentrale Zusammenhänge außer Acht lasse und unbedingt korrigiert gehöre. Denn nur in effizienten Gebäuden mit funktionierendem Wärmeschutz (Gebäuden, die NT-ready sind), könnten die Erneuerbaren Energien ökologisch sinnvoll und wirtschaftlich eingesetzt werden. Ein Faktum, das auch die Bundesregierung schon offiziell anerkannt hat, woran die Verbändeerklärung noch einmal erinnerte: „Die großen Klimastudien – allen voran die Langfristszenarien der Bundesregierung selbst – zeigen, dass ohne eine signifikante Verbesserung der Effizienz des Gebäudebestandes das Ziel der Treibhausgasneutralität nicht erreichbar sein wird.“  

Debatte sollte sachlicher geführt werden

Die energetische Sanierung der Gebäudehüllen sei Grundvoraussetzung der Energie- und Wärmewende. Jan Peter Hinrichs, Geschäftsführer des BuVEG: „Die aktuelle Debatte wird leider wenig sachlich und zu emotional geführt. Die Fakten sprechen jedoch eine eindeutige Sprache: Der deutsche Gebäudebestand ist nach wie vor ein Verbrauchsriese. Nur mit Energieeffizienzmaßnahmen, also einer drastischen Verbrauchsreduzierung, können wir die Klimaziele noch erreichen und senken das Risiko hoher Kosten sowie die Abhängigkeit von Dritten.“

Benjamin Weismann, Bundesgeschäftsführer des GIH, bemängelt die falsche Gewichtung bei der finanziellen Unterstützung: „Dass der Einbau einer neuen Heizung doppelt so hoch gefördert wird wie Maßnahmen an der Gebäudehülle, bricht mit der Logik jeder ganzheitlichen Energieberatung. Da eine gut gedämmte Hülle den Heizbedarf senkt, sollte sie am besten vor einem Heizungstausch in Angriff genommen und finanziell zumindest gleichrangig unterstützt werden.“

Thomas Drinkuth, Leiter der Repräsentanz Transparente Gebäudehülle, warnte vor einer Flaute in der Bauwirtschaft: „Es wird allerhöchste Zeit für eine ambitionierte Energieeffizienzpolitik im Gebäudesektor. Neben dem Einbruch des Neubaus droht ein Rückgang der ohnehin stagnierenden Sanierung. Die Folge: Baurezession und Versagen beim Klimaschutz. In einem ersten Schritt muss die Förderung für Sanierungsmaßnahmen an die für eine erneuerbare Heizung angeglichen werden.“

Die soziale Dimension im Blick behalten

Und bereits in der ersten Entgegnung auf die Thesen der Bauministerin hatte zudem der BuVEG auf den Aspekt der Energiegerechtigkeit beziehungsweise der drohenden Energiearmut hingewiesen, überdies auf die globale Dimension des Problems: „Insbesondere für sozial schwächer gestellte Haushalte gilt: Stabile und kalkulierbare Energiekosten gibt es nur für Gebäude, die einen geringen Energiebedarf haben. Die Verfügbarkeit von fossilen und auch von erneuerbaren Energien ist begrenzt. Jede Kilowattstunde, die wir nicht benötigen, ist unterm Strich günstiger und macht uns unabhängig.“ Quelle: BuVEG / ab