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Lowtech, die Zukunft von Hightech

Die Anforderungen an Gebäude werden zunehmend komplexer. Für die Planung sind heute nicht nur die anerkannten technischen Regeln erforderlich, sondern die Optimierung im Hinblick auf vielfältige, teils konkurrierende Ziele [1]. Die begleitende deutsche und europäische Normungswut führt derzeit dazu, dass die Kosten sowie die Planungs- und Bauphase für die Umsetzung von Bauvorhaben regelrecht explodieren. Der Flughafen Berlin Brandenburg (BER) ist nur die sichtbare Spitze einer Vielzahl von laufenden Auseinandersetzungen, die während der Realisierung oder nach Fertigstellung zwischen Bauherren, Architekten, TGA-­Planern und ausführenden Firmen ausgetragen werden.

Wir sind inzwischen weit über das Ziel hinausgeschossen, über Technologie die Effizienz zu steigern. Dies lässt sich auch auf alle anderen Lebensbereiche wie Ernährung, Hygiene und Mobilität übertragen. Wir werden zwar immer effizienter, aber gleichzeitig zunehmend komplexer. Der Effizienzgewinn wird durch die Überausstattung nicht nur vollständig „aufgefressen“, sondern dient als Argument, immer mehr zu konsumieren. Im Fachjargon nennt man dies den „Rebound Effekt“. Planungsprozesse werden mittlerweile dominiert von „Angstfaktoren“ wie Hygiene und Brandschutz, Haftungsfragen treten in den Vordergrund. In den Normenausschüssen dominieren die Einzelinteressen der Fachverbände der Hersteller, die die neuen Anforderungen an Gebäude wie eine Wunschliste zu Weihnachten umsetzen.

2 Der Rückkühler der Firma Erich Keller ermöglicht im Gebäude der TAZ Verlagsgesellschaft in Berlin Mitte mit 3 × 50 kW ganzjährige freie Kühlung zur Gebäudeklimatisierung und Serverkühlung.

Bild: Marco Schmidt

2 Der Rückkühler der Firma Erich Keller ermöglicht im Gebäude der TAZ Verlagsgesellschaft in Berlin Mitte mit 3 × 50 kW ganzjährige freie Kühlung zur Gebäudeklimatisierung und Serverkühlung.

Es geht auch einfach

Unter dem Begriff Lowtech hat das BBSR letztes Jahr am Natural Building Lab der TU Berlin eine Tagung veranstaltet, die dem „Hightech Trend“ in der Gebäudeausstattung etwas entgegen setzen soll. Die Präsentationen der Tagung und die Ergebnisse in Form eines Tagungsbandes sind kostenlos unter www.nbl.berlin sowie über das BBSR zu beziehen [2].

In einem neuen, vom BMWi geförderten Projekt im Rahmen des 7. Energieforschungsprogramms der Bundesregierung („Energiewendebauen“) werden für die nächsten drei Jahre in elf „Leuchtturm-Projekten“ die Wirkung von adiabater Kühlung in Kombination mit passiven Maßnahmen wie Gebäudebegrünung untersucht (s. Infokasten „Projekte“).

3 Den Wärmetauscher umströmt Außenluft. Bei hohen Außentemperaturen wird Wasser verdunstet, um das Gebäude und die Serverräume mit Kälte zu versorgen.

Bild: Marco Schmidt

3 Den Wärmetauscher umströmt Außenluft. Bei hohen Außentemperaturen wird Wasser verdunstet, um das Gebäude und die Serverräume mit Kälte zu versorgen.

Die Erfahrung aus vorangegangenen Untersuchungen zeigt, dass diese Lowtech-Strategien die Anforderungen an Komfort und Energieeffizienz erfüllen können. Gleichzeitig lassen sich damit Investitions- wie auch Betriebskosten senken (GEB 07-2019 „Kletterpflanzen für den Klimaschutz“, www.bit.ly/geb1712).

Die Verdunstung von Wasser zur Gebäudeklimatisierung ist eine effiziente kostengünstige Maßnahme, auf Kompressionskältemaschinen und Absorber zu verzichten. Insbesondere Regenwasser ist dazu gut geeignet, da es keinen Kalk enthält und nicht aufbereitet werden muss (GEB 04-2019, „Kühlen mit Regenwasser“, www.bit.ly/geb1713). Wird Verdunstungskälte als klimafreundliche Lowtech-Alternative zu konventionellen Klimasystemen eingesetzt, lassen sich auch Probleme umgehen, die die europäische F-Gase-Verordnung durch die Verknappung klimaschädlicher Kältemittel mit sich bringt [3].

Neben der Untersuchung von elf Beispielprojekten werden in begleitenden Arbeitspaketen Planungstools (s. Infokasten „Entwicklung eines Planungstools“) sowie die vereinfachte Datenerfassung als Monitoringlösung erarbeitet. Hygiene-
untersuchungen werden begleitend in allen Projekten in einem weiteren Arbeitspaket durchgeführt.

Bislang wird oft aus Verunsicherung auf Regenwassernutzung verzichtet und auf Trinkwasser gesetzt. So auch bei den Rückkühlern der Firma Erich Keller aus der Schweiz. In den Gebäuden der Böll-Stiftung und der TAZ-Verlagsgesellschaft in Berlin-Mitte wird die Kälte ganzjährig als freie Kühlung über 2 × 70 kW bzw. 3 × 50 kW erzeugt (Abb. 2 und 3). Eine konventionelle Kompressionskältemaschine dient in beiden Projekten als Backup für klimatisch ungünstige Bedingungen. Der Kaltwassersatz wird in dem Fall jeweils zur Rückkühlung des konventionellen Kompressors genutzt.

4 Im Rahmen der Tagung „Lowtech im Gebäudebereich“ wurden die heute gebräuchlichen, technikzentrierten Effizienzstrategien kritisch diskutiert. Die Dokumentation des Symposiums gibt eine ausführliche Zusammenfassung der Beiträge wieder. Sie steht zum Download unter www.bit.ly/geb1718.

Bild: BBSR / ZRS Architekten Ingenieure

4 Im Rahmen der Tagung „Lowtech im Gebäudebereich“ wurden die heute gebräuchlichen, technikzentrierten Effizienzstrategien kritisch diskutiert. Die Dokumentation des Symposiums gibt eine ausführliche Zusammenfassung der Beiträge wieder. Sie steht zum Download unter www.bit.ly/geb1718.

Kältebedarf wird oft unterschätzt

Spätestens nach den beiden letzten heißen Sommern geraten die Gebäudekühlung und der sommerliche Wärmeschutz zunehmend in den Fokus. Die standardisierten Berechnungsverfahren für energiesparrechtliche Nachweise (Energiebedarfsberechnungen) führen oft dazu, dass der reale Kältebedarf erheblich unterschätzt wird.

In den vom BMWi finanzierten vorangegangenen Projekten „Krankenhaus plus“ und „HighTech – LowEx: Energieeffizienz Berlin Adlershof 2020“ wurde beim Vergleich der Bedarfsprognose nach DIN V 18599 mit den real gemessenen Verbräuchen für die Gebäudekühlung jeweils ein Unterschied um den Faktor 7 festgestellt. Am Beispiel des Physikinstituts in Berlin-­Adlershof lag der real gemessene Primärenergieverbrauch mit 123 kWh/(m2a) gegenüber berechneten 17,3 kWh/(m2a) um 610 %, im Krankenhaus Agatharied in Bayern mit 1855 MWh/a gegenüber berechneten 273 MWh/a um 580 % über den prognostizierten Werten (Abb. 5 und 6). Ursachen liegen zum einen in der vereinfachten Monatsbilanzierung und den Annahmen zu den Nutzungsrandbedingungen, z. B. den inneren Wärmelasten. Deutlich wird dies, wenn man die gemessenen Stromverbräuche mit den bilanzierten Wärmeeinträgen für Arbeitshilfen vergleicht. Am Beispiel des Krankenhauses wird deutlich, dass die realen Stromverbräuche, die letztlich zu den Wärmelasten führen, deutlich höher ausfallen. Höhere Wärmelasten senken den Heiz­ener­gieverbrauch und steigern den Kälteverbrauch.

Derart starke Unterschiede in den Ergebnissen führen zu Fehloptimierungen und stehen dem Einsatz innovativer und energiesparender Kühltechnologien entgegen.

Zu wenige Gebäude werden begrünt

Auch bei der Gebäudebegrünung besteht erheblicher Handlungsbedarf. Der positive Beitrag zum sommerlichen Wärmeschutz und die Reduzierung des Klimatisierungsbedarfs lässt sich messtechnisch eindeutig nachweisen, aber in den Berechnungsverfahren als Nachweis nicht berücksichtigen.

Die in den 80er-Jahren insbesondere in West-Berlin entwickelten Strategien der Wohnumfeldverbesserung durch Begrünung sind nahezu in Vergessenheit geraten [4]. Der Anteil an begrünten Fassaden hat sich u. a. durch Einführung von Wärmedämmverbundsystemen seither nahezu halbiert [5]. Auch in Architekturwettbewerben scheitern wir mit Begrünungskonzepten nahezu grundsätzlich bereits im ersten Rundgang. Bei Architekturkollegen hat sich eine Art „Phobie“ entwickelt gegen alles, was ein Blatt hat. Wenige Ausnahmen wie das Physikinstitut in Berlin-Adlershof und der „Bosco Verticale“ in Mailand bestätigen die Regel. Dabei sind es genau diese Lowtech-Strategien, die uns vor einer Überregulierung und Kosten-
explosion am Bau bewahren könnten.

Quellen:

[1] SenStadt (2010): Konzepte der Regenwasserbewirtschaftung – Gebäudebegrünung, Gebäudekühlung. Leitfaden für Planung, Bau, Betrieb und Wartung. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, www.stadtentwicklung.berlin.de, www.bit.ly/geb1710

[2] BBSR (2020): Lowtech im Gebäudebereich. Zukunft Bauen: Forschung für die Praxis, Band 21, www.bbsr.bund.de, www.bit.ly/geb1718

[3] UBA (2015): Hauptsache KALT? Was müssen Betreiber von Kälte- und Klimaanlagen mit fluorierten Kältemitteln ab 2015 beachten? Broschüre, www.umweltbundesamt.de, www.bit.ly/geb1719

[4] Köhler, M.; M. Schmidt (1997): Hof-, Fassaden- und Dachbegrünung : zentraler Baustein der Stadtökologie; zwölfjährige Erfahrungen mit einer Begrünungsutopie. Landschaftsentwicklung und Umweltforschung 105; TU Berlin, Univ.-Bibl., Abt. Publ.; ISBN 3-7983-1757-7

[5] Köhler, M., P. Debrand-Passard (2019): Fassadenbegrünungen in Berlin. In: Neue Landschaft 9/2019 S. 23-30.

[6] BMI (2019): Leitfaden Nachhaltiges Bauen – Zukunftsfähiges Planen, Bauen und Betreiben von Gebäuden. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat. 3. Auflage Januar 2019, www.nachhaltigesbauen.de

[7] TU Berlin (2014): HighTech-LowEx: Energieeffizienz Berlin Adlershof 2020 – Abschlussbericht Teil 8 Energieeffiziente Gebäude. BMWi EnEff: Stadt, Förderkennzeichen 03ET1038A und B.

[8] TU Berlin (2016): Krankenhaus plus. Erarbeitung und Demonstration krankenhaus-bezogener Strategien zur Steigerung der Energieeffizienz. Endbericht, Förderkennzeichen 0327429A, www.khplus.info

[9] VDI 6007: Berechnung des instationären thermischen Verhaltens von Räumen und ­Gebäuden

[10] VDI 2078: Berechnung der thermischen Lasten und Raumtemperaturen (Auslegung Kühllast und Jahressimulation)

5 Vergleich Primärenergiebedarf nach DIN V 18599 mit gemessenem Verbrauch, Institut für Physik der HU Berlin, Berlin Adlershof [7]

Bild: Technische Universität Berlin

5 Vergleich Primärenergiebedarf nach DIN V 18599 mit gemessenem Verbrauch, Institut für Physik der HU Berlin, Berlin Adlershof [7]
6 Vergleich Primärenergiebedarf nach DIN V 18599 mit gemessenem Verbrauch, Krankenhaus Agatharied in Bayern [8]

Bild: Technische Universität Berlin

6 Vergleich Primärenergiebedarf nach DIN V 18599 mit gemessenem Verbrauch, Krankenhaus Agatharied in Bayern [8]

Projekte zur energieeffizienten Kühlung

In einem neuen, vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Projekt, untersucht die TU Berlin zusammen mit schiller engineering und IBUS seit Anfang 2020 anhand von elf Liegenschaften Maßnahmen wie adiabate Kühlung und/oder die Wirkung passiver Maßnahmen wie Gebäudebegrünung. Zu den Projekten zählen

  • das Institut für Physik der Humboldt-Universität in Berlin-Adlershof,
  • das Gebäude der Böll-Stiftung in Berlin,
  • das Gebäude der TAZ Verlagsgesellschaft in Berlin,
  • das Gebäude der Firma INTEWA in Aachen,
  • der Neubau der Firma Freilacke in Döggingen,
  • ein Gebäude des Forschungszentrums DESY in Hamburg,
  • der neue zweite Bauabschnitt des Uniklinikums in Frankfurt,
  • der Brandenburger Landtag in Potsdam,
  • die UFA Fabrik in Berlin-Tempelhof,
  • das Areal am Potsdamer Platz in Berlin
  • und ein Bürogebäude in Mittenwalde in Brandenburg.
  • Zur stärkeren Berücksichtigung energieeffizienter Kühlung in Planungsprozessen fördert das Umweltministerium zudem die Erstellung von Bildungsmodulen für Architekten, TGA-Planer und Studierende. Informationen zu diesem Projekt: www.bimoka.de

    Entwicklung eines Planungstools

    Beim Einsatz rein regenerativer Kühltechnologien müssen Planer hohe System­temperaturen vorsehen und trotzdem mit begrenzten Leistungen und Einschränkungen bei der Verfügbarkeit umgehen. Die daraus resultierenden Unsicherheiten führen zu einem Hemmnis in der Verbreitung. Nur wenige Spezialisten beherrschen dynamische Modelle der gekoppelten Gebäude- und Anlagensimulation. Daher werden solche Modelle in der Breite nicht regelmäßig eingesetzt.

    Um diese Lücke zu verringern, soll im Rahmen des Projektes „Energieeffiziente Gebäudekühlung“ des BMWi ein Planungstool entwickelt werden. Dieses Tool soll der gekoppelten dynamischen Raum- und Anlagensimulation dienen und im Ergebnis Prognosen für die sommerlichen Raumtemperaturen liefern. Als Wetterdaten stellt mittlerweile der Deutsche Wetterdienst ortsgenaue Testreferenzjahrdatensätze bereit, die auch extreme Witterungsverläufe beinhalten und Prognosen für zukünftige Veränderungen erlauben. Das neue Raummodell soll sich eng an bestehende Normen wie VDI 6007 [9] und VDI 2078 [10] anlehnen.

    Vorgesehen ist die zukünftige Möglichkeit zur Kopplung mit einem zweidimensionalen Temperaturfeldmodell für thermisch aktive Bauteile, mechanische und natürliche Lüftung sowie konvektive Raumkühlsysteme. Der Schwerpunkt wird auf leistungsbegrenzte und witterungsabhängige, nicht dauerhaft verfügbare Kälteerzeuger gelegt. Erzeugerseitig sollen daher vor allem Freikühler mit und ohne Verdunstungseffekt sowie die indirekte Verdunstungskühlung („adiabate Kühlung“) in raumlufttechnischen Anlagen abbildbar sein. Bei der Pro­gramm­entwicklung wird Wert darauf gelegt, die Bedienung einfach zu halten und die Modelle für spätere Normungen transparent zu dokumentieren.

    Marco Schmidt
    arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Technischen Universität Berlin sowie im Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Referat Energieoptimiertes Bauen. Sein Schwerpunkt am Fachgebiet Gebäudetechnik und Entwerfen sowie im Natural Building Lab der TUB liegt auf der Schnittstelle der ökologischen „Bausteine“ Energie, Wasser und grüner Infrastruktur.

    Bild: Technische Universität Berlin

    Heiko Schiller
    ist Inhaber des Ingenieurbüros schiller engineering. Das Büro beschäftigt sich mit der energetischen und bauklimatischen Optimierung von Gebäuden. Heiko Schiller ist Mitglied verschiedener Normungsausschüsse, u. a. zur DIN V 18599. In verschiedenen Forschungsprojekten beschäftigt er sich mit der Energieverbrauchs-
    kennzeichnung von lüftungs- und kältetechnischen Anlagen.

    Bild: Schiller

    Margarethe Korolkow
    ist Prokuristin bei IBUS Institut für Bau-, Umwelt- und Solartechnik Forschungs GmbH, Berlin. Neben Forschungsprojekten zu Themen des solaren Bauens und der Energieeffizienz im Gebäudebereich sind weitere Arbeitsschwerpunkte EnEV-Nachweise, Energieausweise und Energieberatung. Sie ist Energieeffizienz-Expertin für Fördermittel des Bundes und in Berlin und Brandenburg als Prüfsachverständige für energetische Gebäudeplanung anerkannt.

    Bild: Korolkow