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Klimaquartier mit Power-to-Gas als Schlüsseltechnologie

Bemerkenswert und bislang bundesweit einmalig ist das energetische Versorgungskonzept der „Neuen Weststadt“ mit 450 Wohnungen, Büro- und Gewerbeflächen sowie dem neuen Campus der Hochschule Esslingen. Es basiert auf der Kopplung der Sektoren Strom, Wärme, Kälte und Mobilität. In den bereits bewohnten Wohnblöcken B und C erfolgt die Wärmeversorgung aus jeweils einer separaten Energiezentrale, in der ein Biomethan-BHKW den Großteil der Wärme erzeugt. Zusätzlich installierte Gas-Brennwertkessel sollen die zeitweise auftretenden Bedarfsspitzen abdecken. Der von den BHKW und PV-Dachanlagen erzeugte Strom verteilt sich vorranging in die Mietwohnungen und Gewerbeeinheiten, Überschüsse werden in Stromspeicher geladen oder in das öffentliche Stromnetz eingespeist.

Die Energieversorgung für den derzeit entstehenden Block D, das geplante Hochhaus im Baufeld E und den neuen Campus der Hochschule Esslingen geht künftig von einer unterirdischen Energiezentrale aus. Ein Elektrolyseur wandelt den überschüssigen Strom aus erneuerbaren Erzeugungsanlagen in Wasserstoff um und macht so die Energie speicherfähig. Den nötigen Strom liefern die lokalen PV-Anlagen auf den Dächern der Blöcke D, E und der Hochschule sowie regenerative Erzeugungsanlagen (PV, Wind) außerhalb des Quartiers, die ihren Überschuss in das Quartiersnetz einspeisen. Neben dem grundlegenden Ziel, die regenerativ erzeugte Eigenversorgung zu maximieren, treibt die beim Elektrolyseprozess anfallende und in das Nahwärmenetz eingespeiste Abwärme die Gesamteffizienz weiter nach oben – ihr Anteil an der Wärmebedarfsdeckung liegt bei rund 50 %. Somit steigt der Nutzungsgrad von 55 bis 60 % auf 80 bis 85 % – ein wichtiger Beitrag für den im Quartier anfallenden Wärmebedarf. Auch für den sommerlichen Kühlfall sind die Wohnungen mittels eingebundener Adsorptionskälteanlagen gut gewappnet, ohne das klimapolitische Konzept zu durchlöchern.

Vielseitige Nutzung des Wasserstoffs

Nur ein kleiner Teil des hier produzierten Wasserstoffs soll direkt in der Energiezentrale energetisch verwertet werden. Das geschieht dann, wenn der von den PV-Anlagen produzierte Strom allein nicht ausreicht, um das Quartier mit Strom und Wärme zu versorgen. In so einem Fall, lässt sich der Wasserstoff in der Energiezentrale mit dem bivalenten BHKW (H2 und Erdgas) wieder schnell und einfach rückverstromen (P2G2P). Hauptsächlich ist der „grüne“ Wasserstoff für anderweitige Nutzungen außerhalb des Quartiers vorgesehen: Dazu werden auf dem angrenzenden Gelände der Stadtwerke Esslingen eine H2-Tankstelle und eine H2-Abfüllstation errichtet, um den Wasserstoff per LKW-Trailer mit Röhrenbündelspeichern an Kunden im Industrie- oder im ÖPNV-Sektor zu liefern.

Digitales Informationsnetz und Energie-Management-System

Ein übergreifendes digitales Informationsnetz und Energie-Management-System (EMS) steuert und maximiert die lokale erneuerbare Eigenversorgung in Interaktion mit dem vorgelagerten Stromnetz, ohne den wirtschaftlichen Betrieb des Gesamtsystems zu gefährden. Zentrale Stromspeicher sollen kurzzeitige Abweichungen zwischen erneuerbarer Erzeugung und dem Energiebedarf im Gebäude- bzw. im Quartiersstromnetz ausgleichen und die Ladeleistung für die Elektromobilität ununterbrochen bereitstellen.

H₂ versus §

Einerseits fordert und fördert die Politik zukunftsgerichtete Versorgungskonzepte, andererseits hinkt sie bei der Gesetzes- und Verordnungsgebung innovativer Technologien wie der Wasserstoffnutzung hinterher. Selbst in Fachkreisen zeigt sich ein bisweilen auffälliges Ausmaß an Unkenntnis der physikalisch-technischen Besonderheiten im Zusammenhang mit der Verwendung und dem Umgang mit Wasserstoff. Ganz zu schweigen von der Verunsicherung hinsichtlich der relevanten rechtlichen Rahmenbedingungen. Die meisten bestehenden Vorgaben benennen dieses Themenfeld gegenwärtig nicht, und so stellt sich oftmals die Frage, ob und ggf. wie vorhandene Regelungen auf die Erzeugung, die Verteilung und den Einsatz von Wasserstoff angewendet werden sollen.

So benötigte etwa das kürzlich verabschiedete Gebäudeenergiegesetz (GEG) mehr als dreieinhalb Jahre der Beratung im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens. Im Ergebnis findet sich in der Zusammenlegung der Energieeinsparverordnung (EnEV) mit dem Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz (EEWärmeG) keinerlei Hinweis auf die Wasserstoffthematik in dem neuen rechtlichen Ordnungsrahmen. In der Folge stellt sich bei einem innovativem Wasserstoffprojekt, wie vorliegend in Esslingen, die sehr praxisrelevante Frage, wie etwa der rohrleitungsgebundene Wasserstofftransport in bereits bestehende rechtliche Strukturen einzuordnen ist – oder ob es neuer wasserstoffspezifischer Regelungen bedarf. Aktuell hat die Bundesnetzagentur diese Fragestellung aufgegriffen und führt eine Anhörung der betroffenen Wirtschaftsverbände durch.

Grüner Wasserstoff braucht grünen Strom

Im Interview mit dem GEB erläutern Tobias Nusser und Norbert Fisch von EGS Plan, dass Elektrolyseure auf Quartiersebene einen wichtigen Beitrag zur Klimawende leisten können. Wichtig ist ihnen vor allem die Solarisierung und Nutzung grünen Stroms. Das Projekt in Esslingen soll an erster Stelle grünen Wasserstoff erzeugen, um grauen Wasserstoff oder andere fossile Energieträger in der Industrie und Mobilität zu ersetzen. Bei dem Klimaquartier in Esslingen verfolgen die Planer zusätzlich die Option, den grünen Wasserstoff in das Niederdruck- als auch in das Mitteldrucknetz einspeisen zu können. Allerdings gilt hierfür eine Einspeisebegrenzung von zweieinhalb Volumenprozent. Limitierend für die Einspeisemenge sind jedoch vor allem die Endgeräte. Diese bzw. einzelne Komponenten kommen nicht mit den höheren Wasserstoffanteilen im Gasnetz zurecht.

In den Städten wird künftig der Bedarf an grünem Wasserstoff erheblich steigen. Unser ganzer Verkehr basiert heutzutage weitestgehend auf fossilen Kraftstoffen, die durch grünen Wasserstoff ersetzt werden können. Auf der anderen Seite gibt es zahlreiche Wasserstoffanwendungen in der Industrie, die vollständig auf erneuerbare Energien umgestellt werden müssen, um die Klimaziele zu erreichen. Wasserstoff für den Wärmebereich in Gebäuden hat nach Auffassung von Tobias Nusser erst seine Berechtigung, "wenn wir ein nahezu dekarbonisiertes Energiesystem haben und den restlichen Bedarf für Gasanwendungen über grünes Gas bereitstellen müssen."

Die Erzeugung von grünem Wasserstoff im Quartier wird mittelfristig teurer sein als grauer Wasserstoff, der heute in industriellen Anlagen über Erdgas gewonnen wird. Nusser: "Wir werden in Quartieren keine Großanlagen mit bis zu 100 Megawatt haben, die aufgrund von Skaleneffekten niedrigere Gestehungskosten haben. Aber der Aufbau dezentraler Anlagen kann von den Kommunen strategisch gesteuert werden, um die Anlagen dort zu verorten, wo ein Nutzungspotenzial für die Abwärme vorliegt. Die gekoppelte Vermarktung von grünem Wasserstoff und Abwärme hilft dabei sicherlich die Wirtschaftlichkeit zu verbessern. Wird dies erreicht, erwarte ich perspektivisch H2-Gestehungskosten von unter 6 Euro pro Kilogramm."

Auch Norbert Fisch ist überzeugt, dass es bei grünem Wasserstoff in erster Linie nicht um die Versorgung von Gebäuden geht: "Ohne extremen Zuwachs an grünem Strom wird es keinen grünen Wasserstoff geben. … Das Thema Gebäude und Wasserstoff steht ganz klar unter dem Postulat Solarisierung der Gebäude, also das heißt Maximierung der PV-Flächen auf den Dächern und Fassaden von Gebäuden. … Importiert man grünen Wasserstoff z.B. aus Nordafrika, dann sind die 30 Prozent der Abwärme hier nicht nutzbar. Die können Sie nicht in den Tank sperren und dann nach Europa bringen. Wir müssen grünen Strom dort aus Sonnenenergie erzeugen und den Wasserstoff am Ort des Bedarfs erzeugen und die Abwärme nutzen. Da gibt es aber nicht nur einen Weg. Den deutschen Gebäudebereich nur annähernd klimaneutral zu machen wird nur funktionieren, wenn ich Riesen-Überschussstrommengen habe, die zum Beispiel in elektrischen Wärmepumpen als das Heizgerät der Zukunft genutzt werden. … Wir werden saisonale Wärmespeicher brauchen, um den Überschuss an Abwärme aus den Sommermonaten in die Heizperiode zu verschieben. Dazu kommen uns die Erfahrungen aus dem Bau der großen Langzeit-Wärmespeicher aus den 90er Jahren zugute." Claudia Siegele

Einen ausführlichen bericht über das Projekt finden Sie im GEB Ausgabe 10.

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