Auch wenn die Debatten der vergangenen Jahre etwas anderes vermuten lassen: Das Klimabewusstsein der Deutschen ist offenbar ziemlich ausgeprägt. In ihrer groß angelegten Studie kommen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ) zu dem Ergebnis, dass sich über 70 Prozent der Bevölkerung Sorgen machen über negative Folgen des Klimawandels. Eine deutliche Mehrheit wünscht sich sogar, dass die Politik beim Klimaschutz aktiver wird.
Jedenfalls theoretisch. Denn so klar wie die Zahlen auf den ersten Blick erscheinen, sind sie nicht. Auf der einen Seite gibt es einen großen Zusammenhalt, etwa wenn es darum gehe, den Klimawandel als Problem wahrzunehmen. Es gibt aber auch Bevölkerungsgruppen, die zugleich große Sorgen haben, dass die Klimapolitik negative Folgen für sie und auch für die Wirtschaft haben kann.
Der Bericht des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ), an dem auch die Universität Bremen beteiligt ist, kommt zu dem Ergebnis, dass 83 Prozent der Befragten sich um die Folgen des Klimawandels sorgen. 71 Prozent sind der Meinung, dass die Politik noch mehr zur Bekämpfung des Klimawandels tun müsste. Aber: 49 Prozent fürchten Jobverluste durch Klimapolitik. 42 Prozent haben Angst um ihren Lebensstandard. „Es geht bei der Transformation weniger um das ‚Ob‘ als um das ‚Wie‘“, sagt FGZ-Direktor und Mitherausgeber der Studie Olaf Groh-Samberg, Professor für Soziologie an der Universität Bremen. „Wir finden in unseren Auswertungen eine Gruppe, die sehr deutlich die Risiken und Gefahren des Klimawandels anerkennt, sich aber zugleich stark um die sozialen Folgen von Klimapolitik sorgt.“
Fünf Klimatypen
Die Forscher identifizieren fünf Gruppen: Entschlossene (18 Prozent), Besorgte (18 Prozent), Zustimmende (31 Prozent), Indifferente (25 Prozent) und Ablehnende (acht Prozent).
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Die Ablehnenden kritisieren Klimapolitik und fürchten wirtschaftliche Folgen. Die Entschlossenen sind von der Dringlichkeit umfassender Maßnahmen überzeugt. Dazwischen stehen die Besorgten. Sie teilen das Klimabewusstsein der Entschlossenen – und die wirtschaftlichen Sorgen der Ablehnenden. Das macht sie zu einer Schlüsselgruppe.
Die Forscher haben im Zusammenhaltsbericht die fünf Klimatypen auf Basis der Daten in der repräsentativen Studie „German Social Cohesion Panel“ (SCP) ausführlich untersucht, um verbindende und trennende Momente zwischen ihnen herauszustellen – mit Blick auf soziodemografische Merkmale und materielle Interessenlagen, Einstellungen zu gesellschaftspolitischen Konfliktfeldern, politisches Vertrauen sowie politische Partizipation und Parteineigung, Verschwörungsaffinität und Erfahrungen von Vertrauen, Zusammenhalt und Abwertung. Darüber hinaus geben die Analysen wichtige Hinweise dafür, welche Konflikt- und Verständigungskanäle zwischen Menschen mit unterschiedlichen Klimaeinstellungen bestehen könnten.
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Auf der Basis dieser Analysen wurden drei illustrative Szenarien für mögliche gesellschaftspolitische Dynamiken einer sozial-ökologischen Transformation skizziert. In diesen Szenarien können auf unterschiedliche Weise durch Prozesse von Verständigung und Konflikt mögliche Koalitionen zwischen sozialen Gruppen zur Umsetzung, Abwehr oder Blockade der Transformation entstehen. Das Forscherteam beschränkte sich dabei bewusst auf die Ebene der empirisch-soziologischen Untersuchung von Einstellungsunterschieden und blieb damit notwendigerweise abstrakt.
Denn inwiefern sich diese Dynamiken zwischen Einstellungsgruppen in der Bevölkerung auch in der politischen Sphäre zeigen und wirkmächtig werden, hängt von vielen Faktoren ab – etwa von ungleicher politischer Repräsentation sozialer Gruppen, den Eigenlogiken der politischen Sphäre mit Blick auf Wahl- und Parteiensysteme oder der politischen Interessenvermittlung durch intermediäre Akteure wie zum Beispiel Gewerkschaften oder NGOs.
Klimapolitik muss soziale Ungleichheiten mitdenken
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Die Besorgten könnten die Transformation mittragen – wenn ihre sozialen Sorgen ernst genommen werden. Die Bereitschaft in der Bevölkerung ist da: 53 Prozent sind überzeugt, dass es eine grundlegende Veränderung des Wirtschaftssystems bräuchte, um den Klimawandel zu bekämpfen. Entschlossene und Besorgte eint die Forderung nach Umverteilung und sozialem Ausgleich.
Kleine Gruppe, große Wirkung
Die acht Prozent Ablehnenden sind politisch aktiv. Ihre Positionen werden in sozialen Medien verbreitet – oft mit Falschinformationen. Das könnte ein Grund dafür sein, warum 70 Prozent befürchten, Klimapolitik verschärfe gesellschaftliche Konflikte. „Wenn die Haltung der Ablehnenden als weit verbreitet gilt, erscheint ambitionierte Klimapolitik als Bedrohung für den Zusammenhalt“, sagt Olaf Groh-Samberg.
Einzigartige Datenbasis
Der Zusammenhaltsbericht nutzt verschiedene Datenquellen zur Analyse des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Die repräsentative Studie „German Social Cohesion Panel“ (SCP) stützt sich dabei auf die Befragung von über 8.000 Personen in ganz Deutschland, die Ende 2022 durchgeführt wurde. Die Ergebnisse dieser Studie bilden zentrale gesellschaftliche Konstellationen ab, deren Entwicklung die Forscher am FGZ fortlaufend beobachten und weiter auswerten. Aktuelle Daten bestätigen, dass Klimaschutz in der Bevölkerung weiterhin einen hohen Stellenwert hat.
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„Mit unseren Daten können wir die Einstellungen zum Klimawandel in der Bevölkerung nicht nur in Bezug auf den sozio-demografischen Hintergrund der Befragten analysieren. Wir können sie auch mit gesellschaftspolitischen Einstellungen, Erfahrungen von Zusammenhalt im Alltag und dem Vertrauen in politische Institutionen in Beziehung setzen“, erklärt Mitherausgeber Dr. Nils Teichler von der Universität Bremen. Quellen: FGZ / Universität Bremen / si
Über das FGZ
Das Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ) ist ein interdisziplinäres, transferorientiertes und ortsverteiltes Institut. Es besteht seit 2020 und wird vom Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) gefördert. Das FGZ verbindet Grundlagenforschung zum gesellschaftlichen Zusammenhalt mit anwendungsnaher Forschung zu aktuellen Herausforderungen aus einer Vielfalt an disziplinären Perspektiven. Für seine Arbeit hat das FGZ ein eigenes Forschungsdatenzentrum (FDZ) aufgebaut, das Daten erhebt, dokumentiert und weitergibt.