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Preisgestaltung bei Fernwärme gerät in die Kritik

Die leitungsgebundene Wärmeversorgung von Gebäuden unterschiedlicher Nutzung in Planung, Neubau und Bestand wird im Zusammenhang mit der Energie- und Wärmewende in den kommenden Jahren wesentlich an Bedeutung gewinnen, d. h. die Marktanteile werden deutlich steigen.

Gleichzeitig müssen die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Nah- bzw. Fernwärmeversorgung kurzfristig überarbeitet und vor allem ergänzt werden, um bestehende Regelungslücken zu schließen. Eine breit angelegte Untersuchung der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) hat im vergangenen Herbst gezeigt, dass sich zahlreiche Fernwärmeversorgungsunternehmen nicht an verbindliche Vorgaben der Verordnung über die allgemeinen Bedingungen für die Versorgung mit Fernwärme (AVBFernwärmeV) halten. Gleichzeitig zeigen einige wenige innovative Stadtwerke - etwa in Bremen, Frankfurt M. und Hanau - das es auch aktuell schon anders geht.

Bei Gebäuden welche jeweils mit Zentralheizungen vor Ort versorgt werden, kennen die Eigentümer und Nutzer die eingesetzten Brennstoffe bzw. Energieträger. Bei der Wärmeversorgung ist dies im Gegenteil hierzu in der Praxis überwiegend nicht der Fall. Die einzelnen Energieträger und Brennstoffe welche konkret zur Wärmeerzeugung vor Ort eingesetzt werden müssten netzspezifisch veröffentlicht und leicht verständlich und barrierefrei im Internet nachgewiesen werden.

Die zentrale Herausforderung sehen wir hierbei in dem Umstand, dass tatsächlich die Brennstoffe und Energieträger in den Preisformeln zur Anwendung kommen die konkret vor Ort schwerpunktmäßig eingesetzt werden. In der Praxis ist dies leider bei der überwiegenden Mehrzahl der Fälle gegenwärtig noch nicht der Fall. Die seit vielen Jahren diskutierte Thematik gewinnt gerade aktuell signifikant an Bedeutung, da die Brennstoffkosten - Steinkohle, Erdgas und leichtes Heizöl - krisen-und kriegsbedingt temporär extrem angestiegen sind. Unter der Voraussetzung, dass sich die Fernwärmeversorgungsunternehmen um einen marktgerechten und angemessenen Einkaufspreis bemühen ist es selbstverständlich, dass tatsächliche Preissteigerungen, welche in direkter Verbindung zur Wärmeerzeugung stehen, auch an den letztverbrauchenden Kunden weitergegeben werden können.

Leider sehen wir gegenwärtig zahlreiche Fälle, bei denen gegen diesen Marktmechanismus deutlich verstoßen wird. Im Ergebnis werden Brennstoffe abgerechnet die nur sehr geringe Anteile bei der Wärmeerzeugung vor Ort einnehmen - oder, schlimmer noch, überhaupt keine Verwendung finden.

Oftmals findet man dann bei genauerer Überprüfung, dass günstigere Brennstoffe eingesetzt werden, die Kunden jedoch in den Preisformeln bzw. den Abrechnungen wesentlich teurere Energieträger wiederfinden. Salopp formuliert isst man in einem Lokal eine Fischsuppe und findet dann eine große Portion teureren Kaviar auf der Rechnung. Diese Vorgehensweise von Versorgungsunternehmen beschädigt das Image der Fernwärme und führt gerade aktuell dazu, dass sich Gebäudeeigentümer oftmals fragen, ob ein Wechsel von der konventionellen Heizung weg hin zu Fernwärme für sie selbst bzw. ihre Mieter sinnvoll ist.

In konkreten Einzelfällen kommt es gegenwärtig zu Preisanstiegen bei der Fernwärme von 600 % bis über 1000 % - somit hat sich der Preis für den Wärmebezug mehr als verzehnfacht. Es handelt sich hierbei um ein sehr komplexes und anspruchsvolles Thema für Gebäudeenergieberater.

Werner Dorß
Energierechtsexperte und Lehrbeauftragter für Gebäudeenergierecht

GEB: Wie häufig stellen Sie überhöhte Preise bei Fernwärmeanbietern fest?

Dorß: Es gibt aktuell vermutlich über deutlich mehr als 100 Fälle von überhöhten Fernwärmepreisanpassungen in Deutschland, hierunter befinden sich auch einige besonders gravierende Fälle. Wuppertal ist aber in der Gesamtbetrachtung ein Extremfall, das Vorgehen dort halte ich für rechtswidrig. Es verstößt sowohl gegen die seit Oktober 2021 gültige AVBFernwärmeV, als auch gegen die höchstrichterliche Rechtsprechung des BGH. Die Entwicklung eines angemessenen Fernwärmpreissystems und nicht zuletzt auch die damit verbundenen Preisgleitklauseln sind ein überaus anspruchsvoller und komplexer Vorgang, den Energieversorgungsunternehmen in der Regel nicht selbst ausgestalten, sondern sich der Unterstützung externer Berater bedienen.  Dass man, wie im Fall der WSW, zu 100 Prozent Gas in der Preisformel berücksichtigt, und das Marktelement überhaupt keine Erwähnung findet, wenn zugleich die Fernwärme nach eigenen Zertifikaten und Aussagen zu über 90 % aus der Abwärme der Müllverbrennung erzeugt wird, sollte dieses unzulässig sein. Negativ auffällig ist zudem die Tatsache, dass Vertreter der Stadtwerke selbst auf die besondere Bedeutung der Abwärmenutzung aus der Müllverbrennung hinweisen und in diesem Zusammenhang die deutliche Reduzierung bzw. Vermeidung des Einsatzes fossiler Brennstoffe betonen. Spätestens mit der Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2011 (Stadtwerke Zerbst) sollte innerhalb der Branche bekannt sein, dass die Brennstoffe bei der Berechnung Berücksichtigung finden müssen, die überwiegend bzw. zu signifikanten Anteilen tatsächlich vor Ort zur Wärmeerzeugung eingesetzt werden. Neben diesem Kostenelement sind zudem Kosten- und Preisentwicklungen auf dem Wärmemarkt im Allgemeinen adäquat zu berücksichtigen (Marktelement). Diesem Umstand trägt auch das Statistische Bundesamt (destatis) Rechnung, indem es einen entsprechenden Index eingeführt hat und ständig aktualisiert. Andere Fernwärmeversorgungsunternehmen – etwa in Bremen, Frankfurt am Main und Hanau – berücksichtigen diese Anforderungen seit Jahren und auch namhafte externe Berater empfehlen diese Vorgehensweise.

GEB: Was raten Sie Energieberatern, die in ihren Planungen Fernwärmeanschlüsse vorsehen?

Dorß: Im Zusammenhang mit der möglichen Planung eines Fernwärmehausanschlusses sollten Energieberater im Vorfeld Kontakt mit den örtlichen Stadtwerken aufnehmen und verbindlich abklären wie die Fernwärme konkret vor Ort erzeugt wird, d.h. welche Brennstoffe und Energieträger in welchem Verhältnis eingesetzt werden. Diese Angaben sollten dann in den Anschlussvertrag und den Wärmelieferungsvertrag verbindlich aufgenommen werden.

GEB: Gefordert ist in Sanierungsfahrplänen für Gebäude auch eine Betrachtung der Wirtschaftlichkeit. Wie sollte man damit bei Fernwärme im Moment umgehen? Sind Energieberater schadenersatzpflichtig wenn ihre Annahmen nicht stimmen?

Dorß: Wesentliche Bedeutung hat gegenwärtig auch das mietrechtliche Wirtschaftlichkeitsgebot. Im Idealfall sollten sich Investitionen in ein Bestandsgebäude über die zu erwartenden Kosteneinsparungen refinanzieren. Bestehende Lücken können gegebenenfalls durch die Inanspruchnahme staatlicher Fördermittel geschlossen werden. Die aktive Fördermittelberatung ist somit zentraler Gegenstand der Gebäudeenergieberatung. Hierbei ist unter anderem die Abfolge dringend zu berücksichtigen. Erst den Fördermittelantrag stellen, dann gegebenenfalls den Bewilligungsbescheid abwarten und erst dann mit den Baumaßnahmen beginnen. Wird die Reihenfolge nicht eingehalten, besteht das Risiko dass Fördermittelansprüche verloren gehen.

GEB: Wie können Energieberater im Moment seriöse Ökobilanzen für Gebäude erstellen, die an Fernwärme angeschlossen werden sollen? Können sie sich hier auch rechtlich absichern und wenn ja wie?

Dorß: Energieberater sollten sorgfältig darauf achten, dass sie die erforderlichen Daten projektbezogen dokumentieren und sich nicht nur auf mündliche Information verlassen. Auf das bestehende Risiko möglicher Abweichungen sollte stets auch in den Verträgen hingewiesen werden.