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Ich weiß was, ich sag was!

Die Angst vor dem Feuer ist in uns Menschen tief verwurzelt, was an seiner Unberechenbarkeit liegen mag, wenn es aus dem ihm zugewiesenen Bereich – sei es eine Kerze, ein Ofen, ein Lagerfeuer, ein Holzkohlegrill – ausbricht und sich entfesselt über alles her macht, was es zu nähren weiß. Stadtbrände, Waldbrände, Brandbomben und vor allem Zimmerbrände – übrigens die häufigste Ursache eines Brandunglücks – nötigen uns ob der Unkontrollierbarkeit und Gefahr für Leib und Leben einen gehörigen Respekt ab. Niemand mag sich vorstellen, vom Feuer eingeschlossen zu sein. Das mag auch ein Grund sein, warum Feuerwehren als Helden und kompetente Brandbekämpfer gelten und kaum jemand wagt, ihr Urteil hinsichtlich der Brandgefährlichkeit und Brandursachen anzuzweifeln. So war das auch bei den jüngsten Diskussionen und Spekulationen um die Brandursache und den tragischen Brandverlauf beim Grenfell Tower in London.

Wie die Fassadenbekleidung zum Dämmstoff wurde

Wer das Gespräch am 14. Juni im heute-journal zwischen Claus Kleber und Prof. Reinhard Ries, dem Direktor der Feuerwehr Frankfurt am Main, verfolgt hat, konnte miterleben, wie dieser ins Studio geladene „Fachmann“ (Zitat Kleber) sehr geschickt und subtil den Dämmstoff als Ursache für die Tragödie verantwortlich machte. Zunächst schlussfolgerte Ries ganz treffend, dass sich das Feuer über die Fassade ausgebreitet hat und diese daher brennbar gewesen sein muss. Kleber erhob die Fassade dann zu einem „Brandbeschleuniger“ und fragte, ob so etwas auch bei uns in Deutschland erlaubt sei. Worauf Ries darauf verwies, dass die Fassaden von Hochhäusern bei uns seit den 1980er-Jahren nur mit nichtbrennbaren Materialien ausgestattet werden dürfen und präzisierte: es dürfen also keine Dämmstoffe verwendet werden, die brennen können. Anstatt aber klar darauf zu verweisen, dass am Grenfell Tower den Aufnahmen und Bildern zufolge die Fassadenbekleidung in Flammen stand (siehe auch nebenstehenden Infokasten) und nicht der Dämmstoff brannte (die Fassadentafeln waren verschwunden, die Dämmplatten klebten noch an der Wand), ließ er offen, was nun genau den Brandverlauf beschleunigt haben könnte und für die Katastrophe in London womöglich ausschlaggebend war. Fortan drehte es sich bei dem Gespräch nur noch um die Brennbarkeit von Dämmstoffen und deren Zulässigkeit an hohen und niedrigen Gebäuden. So stellte er subtil einen Zusammenhang zwischen dem Unglück und der Wärmedämmung in den Raum, ohne explizit zu benennen, dass in London überhaupt kein Polystyrol und schon gleich gar kein Wärmedämmverbundsystem (WDVS) verbaut worden war.

Dieses Interview ist ein Paradebeispiel dafür, wie die Feuerwehr, deren Kernkompetenz ja das Löschen ist, sich zum Gutachter für Brandursachen und -verläufe aufspielt. Es gibt bislang noch keinen Abschlussbericht des Geschehens in London, aber die Feuerwehr in Deutschland hat den Dämmstoff als Schuldigen ausgemacht und in dem Zusammenhang die Brandsicherheit von WDVS offen infrage gestellt, das mit der Brandkatastrophe in London so wenig zu tun oder gemein hat wie die Unfallursachen durch einen Geisterfahrer mit jenen durch einen LKW-Auffahrunfall am Stauende. Man popelt sich ungläubig an den Ohren und fragt sich: Was passiert hier eigentlich?

Das Schlimme daran: Die Medien nehmen diese Diskussion auf, und in den Nachrichtensendungen und Tageszeitungen ist fortan nur noch von der brennenden Dämmfassade die Rede und der Brandgefahr von Dämmstoffen an unseren Einfamilienhäusern. Alleine durch Spekulationen und das Herstellen eines Zusammenhangs von brennbaren Fassaden vulgo Dämmstoffen hat es die Feuerwehr bar jeder Fakten und Beweise erneut geschafft, dass Deutschland wieder über den Wahnsinn Wärmedämmung diskutiert. Es ist zum Haareraufen, wie mühselig es immer wieder ist, die Vorzüge eines gedämmten Gebäudes in die Köpfe zu bringen und sachlich über Brandrisiken und den marginalen Anteil brennender Dämmfassaden an 180 000 Bränden und die extrem wenigen Brandtoten im Jahr zu berichten, die zudem nicht eindeutig auf die brennende Dämmung zurückzuführen sind (siehe auch GEB 10-2013). Welchen Anteil die Brandlast aus den Wohnungen und die giftigen Brandgase am Unglücksverlauf hatten, kann kein Feuerwehrmann wissen, der ins Mikrofon eines Reporters plappert, während seine Kollegen im Hintergrund noch verzweifelt gegen die Flammen ankämpfen. Das ist schlicht unseriös.

Man kann 1000 Tode sterben – Feuer ist auch dabei

Im Jahr 2014 zählte das statistische Bundesamt genau 347 Todesopfer durch „Exposition gegenüber Rauch, Feuer und Flammen“ [1]. Das entspricht weniger als 0,04 % aller Todesfälle in dem Jahr – und die Brandtoten sind nur eine Unfallkategorie von vielen: So haben zum Beispiel 112 Menschen die Naturkräfte hinweggerafft, 389 sind ertrunken, 130 von der Leiter gehagelt und nie mehr aufgestanden und 299 sind erstickt, weil sie sich beim Essen oder Trinken verschluckt haben. Von den 3723 auf unseren Straßen ums Leben gekommenen Personen („Transportmittelunfälle“) gar nicht zu reden. Und böse ist, wer nach Tempolimits verlangt oder härtere Strafen für Raser fordert. Doch es genügt ein spektakuläres Brandereignis mit vielen Toten und Verletzten im Ausland, und hierzulande startet ein Feldzug gegen Wärmedämmung, als müssten die Feuerwehren vorsorglich schon löschen, was noch gar nicht oder vielleicht gar nie brennt, weil die Vorschriften dies zu verhindern oder zumindest das Risiko im Kontext zu Aufwand und Kosten zu minimieren wissen.

Lieber Holz im Dach als Polystyrol an der Wand

Aber wie verfährt man mit älteren Gebäuden, insbesondere Mehrgeschossbauten? Müssen die brennbaren Bekleidungen und hölzernen Unterkonstruktionen abgerissen und neu aufgebaut werden? Boomt nun das Geschäft mit nachträglich einzuschneidenden Brandriegeln in polystyrolgedämmte Fassaden? Was passiert mit den Holzfassaden? War es panisches Handeln oder fachliche Risikoabwägung, das elfstöckige Hochhaus aus den 1960er-Jahren in Wuppertal so fix zu räumen, dass manche Mieter ihr Hab und Gut in Plastiktüten aus der Wohnung trugen? Wo endet verantwortungsbewusstes Handeln, wo beginnt die Hysterie?

Wie begründet ist ein generelles Verbot von WDVS mit Polystyroldämmplatten, wenn unsere Ein- und Zweifamilienhäuschen einen hölzernen Dachstuhl (mit nichtbrennbarer Mineralwolle dazwischen!), sauber aufgeschichtetes Kaminholz unterm schützenden Dachüberstand und einen polycarbonatplattengedeckten Carport mit Auto drunter als Brandlast schon mitbringen? Wie durchdacht sind solche Verbotsforderungen? Wie unglaubwürdig macht sich ein derart „wach gerüttelter“ Landesbranddirektor Gräfling von der Berliner Feuerwehr mit seinem Appell bei rbb-online an den Gesetzgeber, nur noch mineralisches, nichtbrennbares Dämmmaterial zuzulassen [2]? Das liefe schlussendlich auf gerade mal zwei Hersteller von Steinwolle hinaus, ganz abgesehen davon, dass die Feuerwehren damit die Baukosten verteuerten, ohne dafür eine plausible Begründung zu liefern.

Warum mussten im Grenfell Tower so viele Menschen sterben?

Die entscheidende Frage lautet doch: Warum mussten im Grenfell Tower so viele Menschen sterben? Und darauf gibt es neben der brennenden Fassade noch viele andere mögliche Antworten: Weil der Brand in der Nacht ausbrach und viele im Schlaf überraschte? Weil sich vielleicht viel mehr Menschen in dem Hochhaus aufhielten, als man offiziell zugeben möchte? Weil der Investor mehr am Mietgewinn als an der Sicherheit der dort lebenden Menschen interessiert war? Weil die Behörden wegschauten, da eine unbekannte Zahl an Menschen illegal dort lebte? Weil es nur ein Fluchttreppenhaus gab? Weil Gasleitungen in den Fluchtwegen verlegt waren?

Der Untersuchungsbericht zu dem Vorfall wird alle diese Überlegungen einschließen und fundierte wie fachlich überprüfbare Erkenntnisse liefern. Solange sollten sich generell Mutmaßungen und Spekulationen in einem Rahmen halten, der keine vorschnellen Beschlüsse und Verurteilungen gebärt, die für Hersteller von Fassadenbekleidungen und Dämmstoffen geschäftsschädigend und den Klimaschutzzielen abträglich sind. So einfach ist das.

Literatur und Quellen

[1] Destatis, Statistisches Bundesamt, Gesundheit – Todesursachen in Deutschland, Fachserie 12 Reihe 4, Art.-Nr. 2120400147004, Wiesbaden 2016, www.destatis.de

[2] rbb-online am 15.6.2017, https://www.rbb-online.de/panorama/beitrag/2017/06/berlin-feuerwehr-fordert-verschaerften-brandschutz-daemmung-hochhaus-london.html

Fassadenbekleidung am Grenfell Tower

Die Fassade des Grenfell Towers in London war mit Verbundplatten aus dem Dreischichtmaterial Reynobond PE (Aluminium/Polyethylen/Aluminium) des amerikanischen Unternehmens Arconic bekleidet, das erst 2016 aus der Aufspaltung des Aluminiumkonzerns Alcoa in zwei Teilunternehmen hervorging. Nach bisherigen Erkenntnissen hat die vorgehängte Fassadenbekleidung mit dazu beigetragen, dass sich das Feuer so schnell über alle vier Seiten des Hochhauses ausgebreitet hat. Am 26. Juni 2017 erklärte das Unternehmen, dass der weltweite Verkauf von Reynobond PE für die Anwendung in Hochhäusern eingestellt wird. Das Unternehmen begründet diesen Schritt, weil es glaubt, dass „die Inkonsistenz von Bauvorschriften auf der ganzen Welt und Fragen, die im Zuge der Grenfell-Tower-Tragödie in Bezug auf die Code-Konformität von Verkleidungssystemen (bestehen), im Rahmen der Gesamtkonstruktion eines Gebäudes stehen“. Arconic hat sich verpflichtet, „die Behörden, die diese Tragödie untersuchen, voll und ganz zu unterstützen“.

In Deutschland wird Reynobond von der Firma Prefa unter dem Namen Aluminiumverbundplatte vertrieben. Die Verbundplatte Reynobond Architecture mit FR-Kern besteht aus zwei einbrenn-lackierten Aluminiumblechen, die beidseitig auf einen feuer-hemmenden Kern aufgebracht sind. Das Produkt entspricht der europäischen Brandschutzklasse B-s1, d0 nach EN 13501-1. Weiterhin entsprechen die Verbundplatten der in Deutschland geltenden Brandschutznorm DIN 4102-1. Die Firma Prefa bietet seit Jahren ausschließlich Aluminiumverbundplatten mit feuerresistentem FR-Kern an und verweist darauf, dass darüber hinaus bei der Verwendung von Aluminiumverbundplatten auf die Gebäudehöhe, -nutzung sowie örtliche Gegebenheiten zu achten ist. Weitere Infos unter www.prefa.com