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Vielfalt der Lösungen anbieten

Herr Thoma: Die meisten Wohnungen werden derzeit noch nutzerabhängig gelüftet, indem die Bewohner mehr oder weniger regelmäßig Fenster öffnen oder kippen. Wenn von nutzerunabhängiger Lüftung die Rede ist, denken viele zunächst an Anlagen mit zentralen oder dezentralen Lüftungsgeräten. Welche Alternativen bietet der Markt?

Die Mehrheit der Bestandswohnungen in Deutschland ist noch nicht energetisch saniert, sodass die Infiltration durch Gebäudeundichtigkeiten meistens gerade so ausreicht. Das gilt nicht für Wohnungen mit raumluftabhängigen Feuerstätten, z. B. Gasthermen, oder wenn nach 1995 neue Fenster eingebaut wurden. Bei den sanierten Wohnungen mit neuen Fenstern und gedämmten Außenwänden, Dächern und Kellerdecken muss mit dem Lüftungskonzept nach DIN 1946-6 überprüft werden, ob eine lüftungstechnische Maßnahme zum Erreichen einer nutzerunabhängigen Lüftung zum Feuchtschutz 1 erforderlich ist.

Für weitere Lüftungsstufen wie Nennlüftung 1 und Intensivlüftungen 1 kommen neben den zentralen und dezentralen Zu- und Abluft-Lüftungsanlagen, je nach Bauweise mit einem oder zwei Ventilatoren und mit oder ohne Wärmerückgewinnung, auch reine Abluftanlagen kombiniert mit Außenluftdurchlässen in der Wand oder dem Fenster zum Einsatz. Je nach Auslegungsgrad der Lüftungsanlage ist die Unterstützung durch manuelles Fensteröffnen möglich. Auch Fenster, die gesteuert von Sensoren und durch Antriebe in Kippstellung gebracht werden, ermöglichen das Lüften.

Wo liegen die Vor- und Nachteile der Fensterlüftung?

Ein Nachteil beim Lüften durch das Öffnen der Fenster ist, dass die einströmende Luftmenge nicht genau festgelegt werden kann, da sie abhängig von der Lage und Größe der Fenster und von der Luftanströmung des Gebäudes ist. Luv- und Lee-Seite sind wie die aktuelle Windstärke wetterabhängig. Das bedeutet, dass zu viel oder auch zu wenig gelüftet werden kann. Möglicherweise können künftig Sensoren dies besser steuern. Die Luftmengen lassen sich jedoch nicht bestimmen, es geht sozusagen nach Gefühl. Der Bewohner muss selbst die Konzentration von Schadstoffen und die Luftfeuchtigkeit überprüfen und reagieren. Im Winter findet keine Wärmerückgewinnung statt. Weitere Nachteile sind, dass Pollen und Staub nicht aus der Zuluft gefiltert werden, und ein erhöhtes Einbruchsrisiko bei gekippten und offenen Fenstern.

Ein Vorteil besteht darin, dass im Hochsommer die Spülung (Durchzug) der Räume mit kühlerer Nachtluft möglich ist. Auch gehört es für viele Nutzer zu einem positiven Lebensgefühl, im Sommer die Tür zur Terrasse oder zum Balkon offenzulassen und annähernd im Freien zu sitzen, wenn sie nicht gerade an einer Hauptverkehrsstraße oder einer Einflugschneise wohnen. Fensterlösungen sind am preisgünstigsten, da sie schon wegen des Lichtbedarfs ein wichtiges Bauelement in Wohnungen sind.

Die Fensterlüftung ist ja als Ergänzung zur Lüftungsanlage in der Wohnung generell möglich. Gibt es umgekehrt für Gebäude, bei denen Lüftungsmaßnahmen zum Feuchteschutz erforderlich sind, Alternativen zur nutzerunabhängigen Lüftung?

Nein. Eine der Begründungen liegt darin, dass die Bewohner z. B. nach dem Duschen zur Arbeit gehen und erst nach Stunden wieder zurückkommen.

Was muss bei der nutzerabhängigen Fensterlüftung – als Ergänzung zur nutzerunabhängigen Lösung – beachtet werden, damit sie den Anforderungen an den Luftwechsel genügt?

Die Luftfeuchte ist vom Menschen zwischen den Extremen zu trocken und schwül nicht bewertbar. Das gilt auch für die anderen Luftbelastungen, die im Zusammenhang mit der Wohnungslüftung betrachtet werden. Deshalb lautet die Empfehlung, die Luftfeuchtekonzentration mit Anzeigegeräten zu kontrollieren und bei Bedarf durch manuelles Fensterlüften wieder in den unbedenklichen Luftfeuchtebereich zu bringen. Dadurch werden auch die übrigen Belastungen wie VOX und CO2 vermindert.

Was darf bei der Beratung der Bauherren zur Wohnungslüftung nicht fehlen?

Es sollte systemneutral beraten werden, damit der Bauherr entscheiden kann, welches das für seine Ansprüche beste System ist. Die spezifischen Vor- und Nachteile sind aufzuführen. Dazu gehören neben den Kosten der Komfort und die hygienischen Möglichkeiten – auch im Hinblick auf Allergien und Befindlichkeiten – sowie die Randbedingungen, die beim Nachrüsten in Bestandsgebäuden zu berücksichtigen sind.

An welcher Stelle muss der Bewohner mit einbezogen werden?

Spätestens, wenn es darum geht, an welcher Stelle, soweit das funktionstechnisch machbar ist, sichtbare Bauteile angebracht werden. Natürlich bei der designmäßigen Auswahl der sichtbaren Komponenten. Wichtig ist es auch, dem Nutzer die Lüftungsstufen von der Lüftung zum Feuchtschutz bis zur Intensivlüftung zu erklären und dass beim Trocknen von Wäsche in der Wohnung oder bei einer Party mit vielen Gästen immer die Fensterlüftung hinzukommen muss.

Inwieweit ist die Digitalisierung bis in den Bereich Wohnungslüftung vorgedrungen?

Display-Anzeigen an der Bedieneinheit von Lüftungsgeräten sollten Standard sein. Dazu gehört eine druckabhängige Filter-Verschmutzungs-Anzeige. Es werden schon Geräte mit Benutzer- und Betreiberzugriff über Homecomputer oder Apps angeboten. Auch kommen vermehrt Anlagen auf den Markt, die in Abhängigkeit von Feuchte und CO2-Gehalt die Luftmengen verändern und anpassen. Das ist energetisch sinnvoll. Diese Displays können auch kombiniert für die richtige Fensterlüftung eingesetzt werden, wobei sie dann nicht nutzerunabhängig wäre.

Welche technologischen Entwicklungen erwarten Sie für die nächsten Jahre? Welche Entwicklungen wünschen Sie sich?

Solange niemand in Räumen anwesend ist, sollten sie bei niedriger Schadstoffbelastung nicht gelüftet werden. Die aktuelle Luftqualität anzuzeigen, würde beim Bewohner die Akzeptanz erhöhen und bei Systemen mit manueller Fensterlüftung das Eingreifen ermöglichen. Die Fernbedienmöglichkeit über Smartphones könnte bei einem Störfall in der Umgebung vorteilhaft sein.

Welche Auswirkungen hätte das Festlegen des Mindestluftwechsels als Bauvorschrift auf die Planung lüftungstechnischer Maßnahmen?

Es ist unbedingt anzustreben, dass ein Mindestluftwechsel baurechtlich eingeführt und in der EnEV oder im künftigen Gebäudeenergiegesetz verankert wird. Dabei muss, wie es die EnEV jetzt schon fordert, der Bautenschutz erreicht und die Gesundheit der Menschen durch ausreichende Frischluftzufuhr geschützt werden.

Mit einer Bauvorschrift, an die sich Planer und Ausführende halten müssen, wird Rechtssicherheit erreicht. Bei der Definition des Mindestluftwechsels sind die Spezialisten in den Normgremien und die Wissenschaft gefordert. Aus jetziger Sicht wäre es die Lüftung zum Feuchtschutz aus der DIN 1946-6. Die Frage ist nur, ob ein starrer Luftwechsel definiert wird oder ob man sich besser an der Belegung, der Gebäudequalität und Wohnfläche sowie den verwendeten Baumaterialien (Pufferung) orientiert. Bei Umnutzung oder Verbesserung des energetischen Stands wäre dann eine aktuelle Anpassung des Mindestluftwechsels erforderlich. Auch die Art des Lüftungssystems hat Einfluss, z. B. ob sensorgesteuerte Lüftungstechnik eingesetzt wird.

Fußnoten

1 Lüftungsstufen definiert nach DIN 1946-6

Planungstool lüftungstechnische Maßnahme

Auf seiner Website stellt der VfW – Bundesverband für Wohnungslüftung e. V. ein Tool zur Verfügung, mit dem der Energieberater überprüfen kann, ob bei einem Gebäude eine lüftungstechnische Maßnahme erforderlich ist. Mit dem Tool lässt sich die Luftmenge für die Lüftung zum Feuchtschutz berechnen. Der VfW empfiehlt Energieberatern, im Rahmen der Beratungen diese Mindestüberprüfung zu nutzen. Das Tool kann über den Shop des Verbands für „null Euro“ bezogen werden. Es steht zum Download unter

www.wohnungslueftung-ev.de , bit.ly/geb1373

Der Bundesverband Wohnungslüftung

Der VfW – Bundesverband für Wohnungslüftung e. V. sieht als Verband mit technologieoffenem Ansatz seine Aufgabe darin, alle am Bau beteiligten Fachleute und Endkunden zum Umdenken bei der Frage der Wohnungslüftung zu bewegen. Er hat das Ziel, dass im GEG oder in baurechtlich eingeführten Vorschriften die nutzerunabhängige Lüftung zum Feuchtschutz geregelt wird. Wie diese erreicht wird, soll nach Ansicht von Peter Paul Thoma Sache der Planer, Handwerker und Bauherren sein. Dabei sind ihm fünf gleichberechtigte Säulen wichtig:

  • freie Lüftung über Fenster
  • automatisierte Fensterlüftung
  • dezentrale Lüftungsgeräte mit und ohne WRG
  • zentrale Lüftungsanlagen mit und ohne WRG
  • Planer, Energieberater, Handwerker und Sachverständige

Thoma: „Wir müssen die Herausforderungen zum Klimaschutz zum gesunden Wohnen und zum bezahlbaren Bauen annehmen. Dies bedeutet, dass man für jedes Bedürfnis und für jedes Budget die angepasste und richtige Lösung finden muss.“

www.wohnungslueftung-ev.de

Peter Paul Thoma

Dipl-Ing. (FH), ist Gebäude-Energieberater im Handwerk und öffentlich bestellter Sachverständiger für Installation, Heizungs- und Lüftungsbau. Der Inhaber eines Sachverständigen- und Ingenieurbüros für Energiekonzepte in Frankfurt ist Geschäftsführer und derzeit Interimsvorsitzender des Bundesverbands für Wohnungslüftung e. V. sowie Obermeister der Innung Sanitär Heizung Klima Frankfurt und Vorstandsmitglied beim Fachverband SHK Hessen. Er ist außerdem Beratender Ingenieur bei der Ingenieurkammer Hessen für Wärmeschutz und Technische Gebäudeausrüstung sowie Mitglied im Landes- und Bundesverband der Sachverständigen.

www.ppt-energieberatung.de